„Kooperationen können offensichtlich nicht von Beginn an den Mehrwert liefern, den man ihnen unterstellt.“ Interview mit Regina Münderlein
Wir haben mit Prof. Dr. Regina Münderlein von der HS Kempten über ihre Forschungsarbeit „Erfolgreiche Schulkooperation. Eine doppelperspektivische Studie zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendarbeit“ gesprochen. Prof. Dr. Münderlein wirft im Interview einen kritischen Blick auf Kooperationen und zeigt auf, unter welchen Bedingungen Kooperationen für beide Seiten erfolgreich sein können.
Wir haben mit Prof. Dr. Regina Münderlein von der HS Kempten über ihre Forschungsarbeit „Erfolgreiche Schulkooperation. Eine doppelperspektivische Studie zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendarbeit“ gesprochen. Prof. Dr. Münderlein wirft im Interview einen kritischen Blick auf Kooperationen und zeigt auf, unter welchen Bedingungen Kooperationen für beide Seiten erfolgreich sein können.
Fachstelle politische Bildung: Sie haben zu Kooperationen zwischen Jugendarbeit und Schule geforscht. Was war Ihr Erkenntnisinteresse?
Regina Münderlein: Ich wollte wissen, wie Kooperation von den beteiligten Kooperationsakteuren verstanden wird. Was sind die Erwartungen und Vorstellungen von Kooperation in der Schule und in der außerschulischen Einrichtung Jugendarbeit? Mein besonderes Interesse galt der Frage, welche Leitvorstellungen es gibt und welche Grundmuster sich daraus für die zukünftige Umsetzung von Kooperationen ergeben.
In meiner Forschungsstudie habe ich aus den qualitativen Interviews und den Aussagen darin versucht, übergreifende Muster herauszuarbeiten. So ist auch der Titel der Studie entstanden. Welche Leitvorstellungen und Handlungslogiken führen zu Synergien und Gelingen, also zum Erfolg in der Zusammenarbeit?
Das Forschungsdesign baut auf eine Analyse der Mikroperspektiven der Interviewpartner_innen auf. Die systematische Gegenüberstellung von expliziten und impliziten Aussagen der befragten Akteure war dabei ein wichtiger Zugang. Denn ich wollte herausfinden, was neben den expliziten Äußerungen zur Kooperation zwischen den Zeilen zu lesen ist und wie sich dies auf den sogenannten Kooperationsprozess in der Praxis auswirkt. Ich sage „sogenannt“, da ich mir die kritische Perspektive auf diese Form der Zusammenarbeit erlaube und hinterfrage, ob es sich wirklich immer um Kooperationen auf Augenhöhe handelt. Es gibt etliche Erkenntnisse, die nicht unbedingt dafür sprechen.
FpB: Was waren die zentralen Ergebnisse dieser Forschung?
RM: Die Studie war methodisch theoriegenerierend angelegt. Ich habe mich dazu weitgehend auf die Grounded Theory Methodology nach Glaser und Strauss (1967) bezogen. Auf der Basis einer mehrperspektivischen Auswertung habe ich versucht, die Ergebnisse weitgehend induktiv zu generieren. So kommt es zu einem Gesamtergebnis und verschiedenen Zwischenergebnissen, die nur im Zusammenhang einen Blick auf die Gesamtlogik ermöglichen. Zunächst musste aus der Gesamtrecherche konstatiert werden, dass die Annahme von positiven Wirkungen durch Kooperation einem nüchternen empirischen Blick auf das Feld häufig programmatisch vorgelagert wird. Diese Erkenntnis machte ich bei der wissenschaftlichen Hintergrundrecherche und später auch in der Auswertung der Interviews. Diese Beobachtung gilt übrigens auch für die Praktiker_innen der Jugendarbeit. Aus den Ergebnissen meiner Forschung würde ich Kooperationen zwischen Jugendarbeit und Schule grundsätzlich nur vorsichtig optimistisch zustimmen. Damit stehe ich etwas quer zu dem Mainstream, bei dem insbesondere in der ganztagsschulischen Kooperation eher die positive programmatische Perspektive überwiegt.
Im Verlauf der Studie haben sich drei Kernperspektiven herauskristallisiert. Zum einen pädagogische und institutionelle Aspekte der Kooperation sowie der Aspekt der Arbeitsbeziehung. Im Hinblick auf die pädagogischen Vorstellungen war zu erkennen, dass im Grunde jede Institution ihre bisherigen konzeptionellen Bausteine in die Kooperation eingebracht hat, diese jedoch nicht unbedingt veränderte oder weiterentwickelte. Dieser überraschende Befund wurde auch bestätigt durch die Auswertung anderer empirischer Studien (z.B. die Studie zur Entwicklung von Ganztagesschulen (StEG), Holtappels 2008). Die Schule behielt als Institution immer die „Bildungshoheit“ und hatte das Bestreben, die außerschulischen Angebote an das Schulprofil anzupassen. Das heißt, die Professionalität des nichtschulischen Akteurs wurde im Hinblick auf Bildungsangebote implizit oft nicht akzeptiert. Leider zeigte sich, dass die Vorstellung im Kooperationskontext beibehalten wurde.
Interessant waren die Differenzen in den Vorstellungen über die Wirkung des pädagogischen Raumes, also über das Bewusstsein und der bewusste Einsatz von Raum für pädagogisch bildendende Prozesse, gerade auch im Hinblick auf die Arbeit in der politischen Bildung. Entscheidend für den Verlauf der Kooperation war hier die Erfahrung von pädagogischem Erfolg. Der nichtschulische Akteur hat ein sehr klares Bewusstsein davon, wie stark der Raum, die Schüler_innen oder der Inhalt auf die Kooperation wirkt. Wenn politische Bildung in entsprechenden nichtschulischen oder historischen Orten durchgeführt wird, entsteht ein ganz anderer Effekt, als es in der Schule der Fall wäre. Die Schule selbst hat dem Raum dagegen keinen großen Bedeutungsspielraum zugemessen. Das war ein ziemlich spannender Punkt, der aber eher im Hintergrund der Kooperationen wirksam ist.
FpB: Welche Erkenntnisse konnten Sie bezüglich institutioneller Aspekte gewinnen?
RM: Im Hinblick auf institutionelle Aspekte zeigt meine Studie, dass die Schule in den Kooperationen einen Gewinn verbuchte. Die Auswertung meiner Forschungsstudie als auch anderer Studien (z.B. Olk 2004, Reismann 2009) zeigt, dass der Ressourceneinsatz auf Seiten der nichtschulischen Akteure sehr viel höher war in Bezug auf Material, Overheadkosten, Personal, Raumnutzung und auch persönlich. Ihr Engagement hat sich wesentlich höher dargestellt als das der schulischen Akteure. Interessant war auch, dass nichtschulische Akteure häufig nicht realisierten, dass sie nur ein kleines Steinchen im heute üblichen Kooperationsmosaik sind, also leider nicht die Bedeutung und den Einfluss auf Schule erlangten, den sie angestrebt hatten. Viele Schulen lassen sich heute aus verschiedenen Gründen von etlichen Partnern unterstützen.
FpB: Was konnten Sie über die Arbeitsbeziehung in Kooperationen herausfinden?
RM: Es wurde deutlich, dass sich die Arbeitsbeziehung zwischen den Kooperationsakteuren leider durchweg asymmetrisch gestaltete. D.h. die gewünschte Augenhöhe der Kooperation wurde zwar von allen explizit benannt und gewünscht, aber weitgehend nicht realisiert. Hierbei spielten Hierarchien zwischen Schule und Jugendarbeit, Status, Rollenverständnisse, berufsprofessionelle und habituelle Aspekte eine Rolle. Wichtig war die Erkenntnis, dass Kooperationen Schulakteure entlastet, während externe Akteure eher belastet wurden, auch wenn dies explizit nicht so gewollt war und teilweise auch nicht so wahrgenommen wurde. Hier würde es helfen, die Kooperation als einfache Dienstleistungsbeziehung zu verstehen – aber diese Sichtweise ist im Bereich der Jugend(bildungs)arbeit nicht gerne gesehen und ruft Widerstände hervor.
FpB: Das Jahresthema der Transferstelle politische Bildung lautete 2017 „Gemeinsam stärker!? Kooperationen zwischen außerschulischer politischer Bildung und Schule“. Der Titel war bewusst mit einem Ausrufe- und einem Fragezeichen versehen. Würden Sie aus Ihren Erkenntnissen sagen, dass beide Bereiche gemeinsam stärker sind?
RM: Ich denke, dass eine gelungene und professionelle Zusammenarbeit prinzipiell eine sehr gute Idee ist. Es gibt auch Synergien, aber die Stärke, die sich nichtschulische Akteure durch Kooperationen mit Schule wünschen, hat spezielle Bedingungen. Diese werden in der Umsetzung von Kooperationen aber häufig nicht mitgedacht.
FpB: Welche Bedingungen bräuchte es für eine erfolgreiche Kooperation?
RM: Aus meiner Studie ergeben sich Logiken und Handlungsanforderungen für beide Akteure in der Kooperation. Ich glaube, es gibt eine Art „Mechanismus“ der positiven Wechselwirkung, der Synergie, den man theoretisch erfassen und dann eben auch anwenden kann. Das ist in erster Linie das Wissen um die Prozesshaftigkeit. Kooperationen können offensichtlich nicht von Beginn an den Mehrwert liefern, den man ihnen unterstellt. D.h. Kooperation sollten als Prozess angesehen und bei allen beteiligten Akteuren, inklusive der Eltern, auf einen Nutzen und ein Erfolgserleben geachtet werden. Hierbei wären Fragen hilfreich, wie z.B. nutzt das Kooperationsangebot dem einzelnen Schüler, der einzelnen Schülerin? Haben auch die Eltern einen Nutzen oder ein Erfolgserlebnis? Wie könnte man das methodisch unterstützen? Dann kann man auch gemeinsam stärker werden. Nicht nur der Inhalt und die Qualität des fachlichen Angebots sind ausschlaggebend, sondern auch die Struktur- und Prozesslogik innerhalb des Umgangs miteinander.
FpB: Was bedeutet das für die Frage nach der Augenhöhe?
RM: Aus meiner Sicht kann die Zusammenarbeit durchaus asymmetrisch sein. Es ist nicht automatisch die Augenhöhe in der Zusammenarbeit, die den Begriff der Kooperation kennzeichnet und die Zusammenarbeit erfolgreich macht. In der Praxis können asymmetrische Kooperationen durchaus die erfolgsreichsten sein. Das ist ebenfalls eine Erkenntnis, die erfahrungsgemäß auf viel Widerspruch stößt. Ich möchte trotzdem anregen, darüber nachzudenken.
Aus dieser Logik heraus sollten sich alle Beteiligten fragen, wann ein Nutzen oder Erfolg in der Situation erkennbar sein wird. Das klingt sehr banal, aber funktioniert offensichtlich.
FpB: Prof. Dr. Ivo Züchner hat auf unserer Jahrestagung in Bezug auf die StEG-Studie überraschend festgestellt, dass ein Großteil der Akteure ihre Kooperation auf Augenhöhe erlebt. Steht das im Widerspruch zu Ihren Erkenntnissen?
RM: Die Ausführungen, die ich hier im Interview mache, beziehen sich schwerpunkmäßig auf meine eigene Forschungsstudie mit dem ihr eigenen qualitativen Forschungsdesign. Das Besondere war hierbei die Analyse der expliziten und impliziten Bereiche, also einer Analyse der Tiefenstruktur der Aussagen. Auf der expliziten Ebene haben auch meine Interviewpartner_innen von Augenhöhe gesprochen. Hier liegt möglicherweise die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs zu Züchners Ergebnissen. Die Akteure wollen natürlich, dass die Kooperationen auf Augenhöhe stattfinden – die Ergebnisse auf der impliziten Ebene zeigen dann, dass dies in der Umsetzung oft nicht so ist. Diesen kritischen Aspekt zum Kooperationsverständnis haben 2003 auch schon Eric van Santen und Mike Seckinger in ihrer Studie „Kooperation. Mythos und Realität einer Praxis“ in den Blick genommen.
FpB: Welche Empfehlungen haben Sie für die Praxis politischer Bildung?
RM: Ich habe einige konkrete Gelingensbedingungen für Schulkooperationen formuliert, insbesondere unter dem Blickwinkel, dass die Kooperation in der Praxis oft durch nur sehr wenige Akteure realisiert wird. In der Ganztagsschule kann es sein, dass nur eine Lehrkraft und eine nichtschulische Akteurin zusammenarbeiten, um politische Bildungsarbeit oder Jugendbildungsarbeit durchzuführen. Daher können die konkreten Handlungsformen in der Situation maßgeblich auf das Gelingen einwirken. Die Tiefenanalyse bestätigt, dass Elemente wie Nachhaltigkeit, also eine langfristige Zusammenarbeit wichtig sind. Es spielt der Aspekt des fachlichen Vertrauens eine große Rolle, womit gemeint ist, dass die Schulakteure Vertrauen in das Angebot der nichtschulischen Akteure legen. Weiterhin sind Aspekte wie Wertschätzung, aber auch unbürokratische Handlungsformen, wie informeller Kontakt, wichtig. Die Schule sollte unbürokratisches Denken in Schulkontexten etablieren und neue Lösungsansätze dazu finden. Dazu gibt es eine Menge Möglichkeiten, die jedoch wesentlich mehr Arbeit für die Schulakteure bedeuten.
Außerdem ist es sehr wichtig, dass der pädagogische Einsatz der nichtschulischen Akteure an die Schule angepasst wird. Schulen haben mittlerweile sehr häufig ein gut konturiertes Schulprofil und wenn der nichtschulische Akteur sich mit seiner Eigenlogik nicht anpasst, sind Spannungen die Folge. Zudem darf der nichtschulische Akteur nicht zu viel Zeit von den Schulakteuren fordern, weil dort das Zeitverständnis aufgrund der anderen Anstellungsform eine ganz andere ist. Es ist daher z.B. oft schwierig, gemeinsame Zeiten zu finden und Teamsitzungen zu gestalten. Eine weitere Empfehlung wäre die Berücksichtigung der teilweise sehr geringen Ressourcen der Schule, beispielsweise in Bezug auf Medien oder Raumkapazität. Nichtschulische Akteure sollten in dieser Hinsicht mit einer relativ bescheidenen Haltung die Arbeit in der Schule angehen. Es sind kleine Punkte, die sich banal anhören, jedoch große Wirkungen für das Erfolgserleben auf der Ebene der grundsätzlichen Handlungslogiken – unabhängig vom fachlich-inhaltlichen Input – haben können.
FpB: Welche weiteren Erkenntnisse sind für die Praxis relevant?
RM: Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn die Vorstellung von Zusammenarbeit und Kooperation in diesem Bereich stärker von Reflexivität und Wissen geleitet werden würde. Das Reflektieren über das, was ich da mache, mit welcher Haltung ich reingehe, wie wir miteinander umgehen, wie die Methodik oder Didaktik angepasst und welche Spannungen sich ergeben können – ein Nachdenken über diese Mikrologiken sollte man in die Vorbereitung mit einbeziehen.
FpB: Zusammen oder getrennt?
RM: Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass man dafür gemeinsam Zeit findet, würde ich sagen, zumindest einmal jeder für sich. Die Akteure der Jugendbildungsarbeit müssen z.B. erkennen, dass sie nicht starr auf ihre Prinzipien beharren können, sondern sich ihre Vorgehensweise und auch die Grundprinzipien in der Zusammenarbeit mit der Schule verändern. Anderseits wissen Schulkateure oft sehr wenig bis gar nichts von Jugend(bildungs)arbeit. Ich empfehle für beide Seiten einen stark reflexiven Umgang mit den verschiedenen Einzelaspekten einer Kooperation, das ist ganz zentral für ein Gelingen und Erfolgserleben.
FpB: Wie wichtig ist für Sie die Verbindung von Wissenschaft und Praxis? Wie kann eine gute Zusammenarbeit aussehen?
RM: Für mich steht das klassische Dreieck aus Theorie, Praxis und Empirie in einer untrennbaren Verbindung zueinander. Soziale Arbeit als Wissenschaft hat sich mittlerweile auch so aufgestellt, dass Forschung und Theorien ebenso eine Rolle spielen wie das Praxishandeln in einer reflexiven Rückbindung. Das gilt genauso für die politische Bildungsarbeit. Ich denke, dass die Arbeit der Transferstelle politische Bildung bzw. jetzt der Fachstelle politische Bildung mit genau dieser Mischung fruchtbar sein kann, nämlich dass die Praxis immer wieder mit neuem Input und aktuellem Wissen auf den neueren Stand der Forschungserkenntnisse gebracht wird.
FpB: Welche Vorteile kann eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis politischer Bildung speziell in Bezug auf Kooperationen mit sich bringen?
RM: Es wird dadurch aktuelles Wissen in die Schule gebracht und neue Formen der Vermittlung können eingesetzt werden. Das Zusammenwirken fördert die wissenschaftliche Expertise der externen Kräfte, nicht nur inhaltlich, sondern beispielsweise auch in Bezug auf Detailwissen wie pädagogischen Raumwirkungen oder Klärung der Rollenverständnisse. Wissenschaft und Praxis politischer Bildung spielen beide eine wichtige Rolle. Die politische, programmatische Linie muss natürlich vorangetrieben werden. Um einfach in Kooperation reinzukommen ist es wichtig, Bedingungen zu schafften, Gelder zu akquirieren, kurz: Lobbyarbeit zu machen. Andererseits sollte der Abgleich von Asymmetrien und bestimmten Ressourcenfragen immer wieder vorgenommen werden, wobei auch beide Bereiche getrennt zu betrachten sind. Das wäre der Mehrwert, wenn ich mich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen beschäftige, damit keine Ressourcen durch eine erfolglose Kooperation verschleudert, aber auch keine Chancen verpasst werden.
veröffentlicht am 07.02.2018
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