Politische Bildung braucht Zeit. Interview mit Falko von Ameln

In der Studie „Lernort Heimvolkshochschule“ analysiert Falko von Ameln die Situation der 22 Heimvolkshochschulen in Niedersachsen, ihr Profil, ihr Bildungsverständnis und ihre Werte. Die Datengrundlage bildeten Interviews mit Leiter_innen, Dozent_innen und Teilnehmenden, teilnehmende Beobachtungen und eine Online-Befragung.


Falko von Ameln (Foto: privat)

In der Studie „Lernort Heimvolkshochschule“ analysiert Falko von Ameln die Situation der 22 Heimvolkshochschulen in Niedersachsen, ihr Profil, ihr Bildungsverständnis und ihre Werte. Die Datengrundlage bildeten Interviews mit Leiter_innen, Dozent_innen und Teilnehmenden, teilnehmende Beobachtungen und eine Online-Befragung.

Die Ergebnisse stellte Falko von Ameln am 9. Februar 2015 auf der Tagung "Bildungsstätten – Lernorte der Zukunft" in der Ländlichen Heimvolkshochschule Mariaspring vor. Diese Gelegenheit nutzte die Transferstelle politische Bildung für ein Interview.


Transferstelle politische Bildung: Herr von Ameln, lassen sich die zentralen Erkenntnisse ihrer Studie kurz zusammenfassen?
Falko von Ameln: Ein zentrales Themenfeld der Studie ist das Konzept des „Lebens und Lernens unter einem Dach“, also die Frage des Lernortes, der Begegnungen zwischen den Teilnehmenden und auch der Lernformen, die dort angewendet werden. Die Heimvolkshochschulen formulieren als ihren zentralen Nutzen, dass sie einen Lernort abseits des Alltags bieten, mit einem höheren Zeitbudget als in anderen Lernumgebungen. Die zentrale Erkenntnis der Studie ist nun, dass diese Selbstbeschreibung der Organisation in erstaunlich hohem Maße mit der Wahrnehmung der Teilnehmenden deckungsgleich ist.

TpB: Welche Lernformen machen denn in dieser besonderen Lernumgebung politische Bildungsarbeit erfolgreich?
FvA: Die einzelnen Heimvolkshochschulen sind ganz unterschiedlich aufgestellt. In einer gewerkschaftlich eingebundenen Heimvolkshochschule werde ich etwas anderes erleben als in einer kirchlichen Einrichtung oder bei einer ländlichen Heimvolkshochschule. Es gibt Einrichtungen, die lokal und regional arbeiten, es gibt andere, die sich überregional aufgestellt haben oder besondere Themenschwerpunkte verfolgen, beispielsweise im ökologischen Bereich. Unabhängig davon gibt es ein gemeinsames Verständnis von Bildung als Schnittstelle von politischer Bildung und Persönlichkeitsentwicklung. Dabei ist es egal, ob ich jetzt einen Kurs zur Weiterentwicklung als Pfarrgemeinderat, einen Sprachkurs oder ein musikalisches Angebot besuche.

TpB: Uns ist aufgefallen, dass es zwischen 2004 und 2007 eine Halbierung der Teilnehmendenzahl bei längerfristigen Kursangeboten bis zu 21 Tagen gab. Gibt es dafür einen spezifischen Grund?
FvA: Die Heimvolkshochschulen wollen ein Lernort abseits des Alltags sein, mit einem höheren Zeitbudget als man das an anderen Bildungsstätten hat. Aber wer geht heute noch für mehrere Wochen zu einer Bildungsveranstaltung? Für die letzten Jahre lässt sich jedoch eine Konsolidierung der Teilnehmendenzahlen feststellen, zumindest bei Veranstaltungen zwischen drei und sechs Tagen Dauer. Das ist eine strategische Herausforderung für die Heimvolkshochschulen, die vor der Frage stehen, ob sie an längerfristigen Formaten festhalten, oder ob sie es sich zutrauen, auch in zwei oder drei Tagen mehr zu vermitteln als nur den Erwerb bestimmter Kompetenzen. Mit reinem Traditionalismus wird es da nicht getan sein. Aus meiner Sicht muss man schon neue Konzepte entwickeln.

TpB: Welche Empfehlungen können Sie auf der Grundlage dieser Erkenntnisse für die politische Bildung geben?
FvA: Politische Bildung verlangt andere Settings, andere Lernmethoden und andere Zeithorizonte, als wenn ich beispielsweise einen Fortbildungskurs zur Steuererklärung besuche. Das habe ich nach einem halben Tag „intus“. Diese Erwartungshaltung bringen auch viele Teilnehmende mit in die Seminare politischer Bildung. Wenn es aber um die Stärkung eines gewissen Habitus geht, um etwa auf der politischen Bühne bestehen zu können, reichen zwei oder drei Stunden nicht aus. Ich gehe ja nicht nach einem Kurs hin und beschließe, Landrat zu werden. Da braucht man ja schon längere Horizonte. Das zu gestalten wird die Herausforderung sein. In einem Umfeld, in dem sich Bildungsbedürfnisse verändern, müssen Träger politischer Bildung einen gesellschaftlichen Diskurs darüber in Gang halten, dass es für Bildung auch Zeit braucht.

TpB: Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Ameln.


Zur Person:
Dr. Falko von Ameln ist Mitglied bei ArtSet Hannover und zertifizierter Gutachter und Berater für Qualitätsentwicklung in der Weiterbildung. Er promovierte im Bereich Organisationspsychologie und lehrt unter anderem an den Universitäten Kaiserslautern, Kassel und Hannover.

 

Veröffentlicht: August 2015



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