„Globale Themen kommen in der politischen Bildung zu kurz“. Fünf Fragen an Bernd Overwien
Prof. Dr. Bernd Overwien ist Leiter des Fachgebiets „Didaktik der politischen Bildung“ an der Universität Kassel und berichtet über aktuelle Forschungsprojekte, Globales Lernen und die Kooperationsmöglichkeiten schulischer und außerschulischer Lernorte.
Prof. Dr. Bernd Overwien ist Leiter des Fachgebiets „Didaktik der politischen Bildung“ an der Universität Kassel und berichtet über aktuelle Forschungsprojekte, Globales Lernen und die Kooperationsmöglichkeiten schulischer und außerschulischer Lernorte. Er ist Mitglied im Expert_innenrat der Transferstelle politische Bildung.
1. Was ist Ihr aktuelles Forschungsprojekt? Was war Ihr letztes Forschungsprojekt?
Ich forsche seit Jahren vor allem in zwei Feldern:
- Verbindungen zwischen schulischer und außerschulischer politischer Bildung, anschließend an Arbeiten zum informellen Lernen.
- Globales Lernen, also das große Themenfeld weltweiter Verbindungen und ihrer Auswirkungen auf Gesellschaften im Norden und Süden der Erde, einschließlich gemeinsamer Handlungsräume für mehr globale Gerechtigkeit und Strategien gegenüber der Klima- und Umweltkrise.
Ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Globales Lernen an lokalen Lernorten“ hat die beiden Felder zusammengebracht. Mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt haben wir im Team (Uni Kassel, Uni Osnabrück, Uni Dresden, Verband Botanischer Gärten) Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern an einem außerschulischen Lernort, in diesem Fall an Botanischen Gärten untersucht. Als Konsequenz aus den Ergebnissen wurden die konkreten Lernumgebungen schrittweise verbessert. In der schulischen und hochschulischen politischen Bildung sind globale Themen trotz aller Aktualität immer noch eher randständig. In der außerschulischen Jugendbildung sieht das besser aus, weshalb hier Kooperationen sehr zielführend sein können. Pflanzen und Biodiversität als Thema der politischen Bildung erscheint zunächst höchst exotisch, ihre Rolle wird aber dann konkret, wenn etwa Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao, Holz, Energiepflanzen etc. auf ökonomische, ökologische und sozial/politische Fragen hin thematisiert werden. Hier liegt dann Globales Lernen als Teil von Bildung für nachhaltige Entwicklung mitten in der politischen Bildung.
Aktuell arbeiten wir an einem Projekt, das die Universität Kassel (FB Gesellschaftswissenschaften und FB Agrarwissenschaften) gemeinsam mit dem Verband Botanischer Gärten durchführt. Wiederum praxisnah geht es um die Verbesserung der Bildungsarbeit an den hier angesprochenen außerschulischen Lernorten. Als Pilotprojekt wird eine bundesweite Weiterbildung in zwei Phasen durchgeführt und wissenschaftlich begleitet und am Ende wird ein Zertifikat entstehen, das Kompetenzen zum Bildungsbereich Biodiversität zwischen Biologie Ethik und Politik nachweisen soll[1].
Innerhalb der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, innerhalb derer sich die Universität Kassel erfolgreich beworben hat, wird es ein Projekt der politischen Bildung geben, das das Dreieck Universität-Schule-Außerschulischer Lernort in den Praxisphasen der Lehrerbildung zusammenführt. Der damit angestoßene (Aus-) Bildungsprozess für angehende Lehrkräfte wird wissenschaftlich forschend begleitet.
2. Welche Erkenntnisse Ihrer Forschung sind für die Praxis politischer Bildung besonders relevant?
Erkenntnisse über die keineswegs triviale Frage, in welcher Weise schulische und außerschulische Lernorte miteinander kooperieren können. Dazu gehören schulorganisatorische Fragen genauso, wie Fragen der Zusammenarbeit verschiedener beruflicher Kulturen. Für Schulen wird deutlich, welche Potentiale und andere Lernweisen sinnvoll mit der eigenen Praxis zusammengeführt werden können. Verbindungen zwischen eher informellem Lernen und ganz formalem schulischen Lernen werden plastisch. Globales Lernen, ein weitgehend vernachlässigtes Feld der politischen Bildung (gleichzeitig werden Globalisierungsprozesse in der Politikwissenschaft, Soziologie etc. munter diskutiert) kann über außerschulische Lernorte gut in schulische Rahmenbedingungen integriert werden. Außerschulische Lernorte, d.h. Nichtregierungsorganisationen, die hier tätig sind, arbeiten an ihren eigenen Kompetenzen, erfahren aber auch viel über bereits vorhandene, beispielsweise methodische Fähigkeiten.
3. Welche Vorteile kann ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis für die politische Bildung bringen?
Wissenschaft kann einerseits wichtige Impulse für die Reflexion der Praxis liefern, andererseits ist sie über die Lehre auch an der Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte beteiligt. Ein enger Dialogprozess kann dazu führen, dass praxisrelevante Forschung initiiert wird und auch im Zusammenhang damit die Bildungspraxis und auch die Ausbildungspraxis verbessert wird.
4. Sie haben im Projekt „ProPol/Weiterentwicklung der Professionalisierung in der Politischen Bildung“ analysiert, welche Kernkompetenzen Lehrende in der außerschulischen politischen Bildung brauchen. Wie können Forschungserkenntnisse zur Professionalisierung der Praktiker_innen in der politischen Bildung beitragen?
Im Projekt ProPol haben wir eine Reihe von Modulen vorgeschlagen. Die dort umrissenen Kompetenzen halten wir für wichtig, damit eine qualitativ hochstehende außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung initiiert werden kann. Dabei stützen sich die dort festgehaltenen und als notwendig gesehenen Fähigkeiten auf eine Befragung von konzeptionell tätigen Praktiker/innen, orientieren sich also an einer Bildungspraxis guter Qualität. Jetzt kommt es drauf an, dass die außerschulische politische Bildung in der Zusammenarbeit von Hochschulen und Trägern beginnt, die im gemeinsamen Forschungsprozess destillierten Erkenntnisse auch (gemeinsam!) umzusetzen.
5. Welche URL sollte jeder/jede politische Bildner_in in seinen/ihren Lesezeichen gespeichert haben?
Wie kurz erwähnt, kommen globale Themen (insbesondere in der schulischen) politischen Bildung zu kurz, obwohl sie seit Jahren in Politikwissenschaft, Soziologie etc. diskutiert werden. Dabei bestehen derzeit sogar Chancen, über das Feld globaler Themen, die lange postulierte Aufgabe politischer Bildung für die ganze Schule, mit dem Segen der Kultusministerkonferenz umzusetzen. Die hat, zusammen mit dem BMZ, jetzt (30.6.15) eine Neufassung des "Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung" vorgelegt. In der bisherigen Fassung sollten globale Fragen in die Grundschule und in Fächer der Sek.I integriert werden, wie Politik, Wirtschaft, Religion oder Biologie und dann auch in die berufliche Bildung. In der aktuellen Fassung geht es auch um Deutsch, Geschichte, Mathematik, die Naturwissenschaften, die Fremdsprachen, Sport, Musik und Kunst. Jeweils konkret wird dargelegt, wie hier globale Fragen eine Rolle spielen. Auch die Kooperation mit außerschulischen Partnern und die Lehrerbildung werden angesprochen. Diesen Orientierungsrahmen und viele andere Theorie- und Praxismaterialien gibt es hier: www.globaleslernen.de
Veröffentlicht: September 2015
Websites und Publikationen:
- Globales Lernen an globalen Lernorten
- Dazu: Overwien, Bernd; Rode, Horst (Hrsg.) (2012): Bildung für nachhaltige Entwicklung: Lebenslanges Lernen, Kompetenz und gesellschaftliche Teilhabe. Leverkusen-Opladen 2013
- Biodiversität als Aufgabe von Biologie, Ethik und Politik
- Kooperation will gelernt sein E-Mail-Interview mit Prof. Dr. Bernd Overwien zur Bedeutung außerschulischer Lernorte in Schule und Lehrerbildung
- Dietrich Karpa/ Bernd Overwien/ Oliver Plessow (Hrsg.): Außerschulische Lernorte in der politischen und historischen Bildung. Immenhausen 2015
[1] Zum Themenfeld Biologische Vielfalt konnten Bildungsmaterialien in ihrer Entstehung begleitet werden (zus. mit dem Biologiedidaktiker Armin Lude) unter der Überschrift "Von der Naturerfahrung zur politischen Bildung"