„Die aktuelle Krise der liberalen Demokratie erfordert eine Neuausrichtung politischer Bildung.“ Fünf Fragen an Hans-Peter Burth

Hans-Peter Burth ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Er leitet die Abteilung Politikwissenschaft und ist Ko-Leiter des Studiengangs Europalehramt. Im Interview berichtet er über seine aktuellen Projekte, weist darauf hin, dass die frühe Fähigkeit zu politischem Denken keinesfalls unterschätzt werden sollte und fordert aufgrund der aktuellen Krise der liberalen Demokratie eine Neuausrichtung politischer Bildung.


Prof. Hans-Peter Burth (Foto: privat)

Prof. Hans-Peter Burth (Foto: privat)

Hans-Peter Burth ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Er leitet die Abteilung Politikwissenschaft und ist Ko-Leiter des Studiengangs Europalehramt. Im Interview berichtet er über seine aktuellen Projekte, weist darauf hin, dass die frühe Fähigkeit zu politischem Denken keinesfalls unterschätzt werden sollte und fordert aufgrund der aktuellen Krise der liberalen Demokratie eine Neuausrichtung politischer Bildung.

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt im Bereich politische Bildung?

Aktuell arbeite ich zusammen mit Volker Reinhardt an der Herausgabe eines Sammelbands zur Wirkungsanalyse von Demokratielernen. Dazu gehört auch ein Beitrag mit Kolleg_innen zur Evaluation und Theoriebildung im Bereich Service-Learning. In Arbeit ist weiterhin ein Projektantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Frage, ob schulische politische Bildung an sich ein Garant für die Förderung demokratierelevanter Einstellungen und den Abbau gruppenbezogener Vorurteile ist.

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse halten Sie für besonders relevant für die Praxis politischer Bildung?

Durch eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen wurde deutlich, dass Grundschulkinder bereits über alltagstheoretische, d.h. mehr oder weniger naive Vorstellungen über Politik verfügen. Diese sogenannten „impliziten politischen Theorien“ der Grundschulkinder wurden unter dem Begriff „politische Präkonzepte“ zu einem festen Orientierungs- und Anknüpfungspunkt der politischen Sachunterrichtsdidaktik.

Angesichts der vielfältigen „politischen Präkonzepte“ von Grundschüler_innen wird deutlich, dass politische Bildung gar nicht früh genug beginnen kann. Die frühe Fähigkeit zu politischem Denken sollte keinesfalls unterschätzt werden. Es umfasst alltagstheoretische, kindgemäße Vorstellungen von Politik, etwa über Kommunalpolitik (Bürgermeister_in, Polizei), Wahlen oder die Bundeskanzlerin.

Gleichzeitig muss man beachten, dass Demokratielernen kein Selbstläufer ist, sondern stets eine Intervention in einen vielfältigen Variablenzusammenhang darstellt. Dessen Erforschung steht erst noch am Anfang.

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?
Die aktuelle Krise der liberalen Demokratie macht eine Neuausrichtung politischer Bildung erforderlich. Die Wahlerfolge des Rechtspopulismus markieren eindeutige Wirkungsdefizite der etablierten politischen Bildung. Eine wichtige wissenschaftliche Voraussetzung einer solchen Neuausrichtung ist die sozialtheoretische Verortung politischer Bildung als gesamtgesellschaftliche Strategie zur Verwirklichung normativer Demokratiekonzeptionen.

4. Welchen Gewinn für die politische Bildung kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis bringen sowie ein Austausch sowohl zwischen den Wissenschaftsdisziplinen als auch innerhalb dieser?

Praxiserfahrungen sind als Korrektiv theoretischer Konzepte politischer Bildung unerlässlich. Das Feedback aus der Praxis verweist auch auf die politische Dimension von politischer Bildung: denn praktische politische Bildung ist stets auch ein soziopolitischer Steuerungsimpuls in einem gesellschaftlichen Kontext.

Interdisziplinärer Austausch ist ebenfalls unverzichtbar. Politische Bildungsforschung ist per se ein interdisziplinäres Projekt, in dem Fachdidaktik, Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaft und Psychologie eng miteinander verflochten sind.

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern: zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Ich freue mich über jede Anfrage von Kolleginnen und Kollegen. Umso mehr, wenn sich dabei Berührungspunkte zu meinen derzeitigen Forschungsschwerpunkten (Demokratielernen, Politischer Sachunterricht, Politikdidaktische Lehr-Lernforschung sowie Politische Bildung und Gesellschaft) ergeben. Aber natürlich bin ich auch offen für andere Themen (zum Beispiel Lernpsychologie). Auch Anfragen aus der schulischen Praxis finde ich sehr spannend und anregend.

 

Veröffentlicht am 13.01.2020

Zum Weiterlesen

  • Sie finden Hans-Peter Burth in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung.
  • Datenbankeintrag: Asal, Katrin/Burth, Hans Peter (2016): Schülervorstellungen zur Politik in der Grundschule. Lebensweltliche Rahmenbedingungen, politische Inhalte und didaktische Relevanz. Eine theoriegeleitete empirische Studie. mehr lesen


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