„Der Umgang von Lehrkräften mit Heterogenität kann die Wahrnehmung der mehrdimensionalen individuellen Lernvoraussetzungen stärken.“ Fünf Fragen an Susann Gessner

Susann Gessner ist Professorin für Didaktik der politischen Bildung am Institut für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Im Interview berichtet sie von ihren Forschungsprojekten im Bereich Schule, die einen Schwerpunkt auf die Perspektiven der Schüler*innen legen. Sie verbindet diese Perspektive mit Überlegungen zur Professionalität von Lehrkräften, z. B. in Bezug auf Haltung und Selbstreflexion.


Portraitfoto Prof.in Dr.in Susann Gessner

Prof.in Dr.in Susann Gessner (Foto: Markus Farnung)

Susann Gessner ist Professorin für Didaktik der politischen Bildung am Institut für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Im Interview berichtet sie von ihren Forschungsprojekten im Bereich Schule, die einen Schwerpunkt auf die Perspektiven der Schüler*innen legen. Sie verbindet diese Perspektive mit Überlegungen zur Professionalität von Lehrkräften, z. B. in Bezug auf Haltung und Selbstreflexion.


1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Aktuell beschäftige ich mich mit bildungstheoretischen Fragestellungen, der Bedeutung von Sprache und Sprechen im Kontext politischer Bildung und Fragen zur Entwicklung von Lehrer*innenprofessionalität, z. B. in Bezug auf Konzepte, wie Haltung und Selbstreflexion. Dabei interessiert mich politische Bildung sowohl als Fachunterricht als auch im Kontext von Demokratiebildung als schulische Querschnittsaufgabe. Zukünftig möchte ich wieder verstärkt empirisch forschen. Zurzeit bereiten wir das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ in Hessen vor und planen dazu eine qualitative Begleitstudie, die insbesondere die Perspektiven der Schüler*innen in den Blick nehmen wird.

In Vorbereitung ist außerdem eine Studie, die in einem Mixed-Methods-Design ländervergleichend die Rezeptionsweisen von schulischer politischer Bildung durch Jugendliche untersucht: Wie hängen Selbstwahrnehmung und politische Positionierung der Jugendlichen mit der Verarbeitung der Inhalte und Wahrnehmung des Unterrichts als soziale Situation zusammen?

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?

Die Ergebnisse meiner Forschung stützen ein Verständnis, das die Bedeutsamkeit von individuellen Vorstellungen, Wissensbeständen und Perspektiven von Jugendlichen für nachhaltige politische Lern- und Bildungsprozesse betont, zugleich aber berücksichtigt, dass Menschen sich auch durch soziale Zugehörigkeiten auszeichnen. In meiner Studie „Politikunterricht als Möglichkeitsraum“ konnte ich zeigen, dass sich jugendliche Schüler*innen – als Expert*innen in eigener Sache – die Potenziale des Fachunterrichts Politische Bildung erschließen können und Lösungsvorschläge für eine bessere Berücksichtigung ihrer Themen anbieten. Dies wird mit Überlegungen zu einer Professionalisierung im Sinne der Ausbildung einer Reflexions-, Deutungs- und Handlungskompetenz auf Seiten der Lehrkräfte verbunden. Der Umgang von Lehrkräften mit Heterogenität kann die Wahrnehmung der mehrdimensionalen individuellen Lernvoraussetzungen stärken.

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Wie kann es politischer Bildung gelingen, politische Lern- und Bildungsprozesse in Abhängigkeit von den Bedürfnissen jugendlicher Schüler*innen je spezifisch zu variieren und wie kann ein differenzierter Umgang mit Heterogenität konzeptionell in politikdidaktische Theorien eingebunden werden? Dafür ist meines Erachtens eine theoretisch-konzeptionelle Auseinandersetzung über die für die politische Bildung und Politikdidaktik relevanten Bezugstheorien und -wissenschaften notwendig. Außerdem muss die Subjektperspektive stärker gewichtet werden. Beides sollte wechselseitig aufeinander bezogen werden, um mehr darüber zu erfahren, wie Jugendliche sich politisch bilden.


4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?

Politische Bildung und ihre wissenschaftliche Beforschung ist per se auf Interdisziplinarität und Austausch angewiesen. Gerade die gesamtgesellschaftlichen Problemlagen – wie die Verbreitung antidemokratischer Haltungen – berühren aktuelle grundsätzliche diskursive Herausforderungen der politischen Bildung. Wenngleich diesen nicht allein mit politischer Bildung begegnet werden kann, so können doch Voraussetzungen, Hemmnisse und Potenziale politischer Bildung beforscht und mit schulischen und außerschulischen Praxissituationen rückgebunden werden. Diese Idee ist verbunden mit dem Versuch, Theorien integrierend im eigenen Denken zu verstehen und sie damit in Bildungssettings entdecken und fruchtbar machen zu können.

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Ich freue mich über Anfragen, Anregungen und Impulse zu bildungstheoretischen sowie schul- und unterrichtsbezogenen Themen. Außerdem bin ich interessiert an der Weiterentwicklung qualitativer Forschungssettings und freue mich auf den Dialog mit Lehrenden, Lernenden, Forschenden und Multiplikator*innen der politischen Bildung.



Veröffentlicht am 11.04.2022

 

 

Zum Weiterlesen

  • Sie finden Susann Gessner in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung.
  • Datenbankeintrag: Gessner, Susann (2014): Politikunterricht als Möglichkeitsraum. Perspektiven auf schulische politische Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Schwalbach/Ts. mehr lesen
  • Weitere Informationen zum Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ mehr lesen


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