„Der fachliche Diskurs mit den Lebens- und Naturwissenschaften sowie der Mathematik wird für die politische Bildung immer wichtiger.“ Fünf Fragen an Florian Weber-Stein

Florian Weber-Stein ist Professor für Politikwissenschaft und Politikdidaktik am Institut für Sozialwissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Im Interview betont er die zunehmende Bedeutung eines grundlegenden Verständnisses von statistischen Daten und Zusammenhängen für politische Bildungsprozesse. Er arbeitet daher, gemeinsam mit einem Kollegen aus der Mathematik, zum Thema statistical literacy in der politischen Bildung.


Portraitfoto von Florian Weber-Stein

Prof. Dr. Florian Weber-Stein (Foto: privat)

Florian Weber-Stein ist Professor für Politikwissenschaft und Politikdidaktik am Institut für Sozialwissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Im Interview betont er die zunehmende Bedeutung eines grundlegenden Verständnisses von statistischen Daten und Zusammenhängen für politische Bildungsprozesse. Er arbeitet daher, gemeinsam mit einem Kollegen aus der Mathematik, zum Thema statistical literacy in der politischen Bildung. In einem weiteren Projekt evaluiert er eine Analysematrix für Lehramtsstudierende zur Qualitätsdiagnose von politischen Schüler*innenurteilen.


1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Ein aktuelles Projekt (gemeinsam mit Prof. Dr. Joachim Engel, Institut für Mathematik und Informatik an der PH Ludwigsburg) dreht sich um die Frage, wie im Rahmen schulischer politischer Bildung statistische Methodenkompetenz vermittelt werden kann. Ein weiteres Projekt (gemeinsam mit PD Dr. Martin Kenner, Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Stuttgart) ist der Fragestellung gewidmet, wie die Kompetenz von Lehramtsstudierenden, während schulischer Praxisphasen das Niveau der von Schülerinnen und Schülern geäußerten politischen Urteile zu diagnostizieren, gefördert werden kann. Dazu haben wir eine Analysematrix entwickelt, die wir aktuell forschungsmethodisch auswerten und optimieren.

 

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?

Ein basales Verständnis deskriptiver Statistik – statistische Lesefähigkeit oder statistical literacy – ist in unserer datafizierten Welt in vielen Bereichen unerlässlich, um sich politisch zu informieren, die mediale Berichterstattung kritisch zu hinterfragen und sich kompetent zu beteiligen. Denken Sie beispielsweise an die Corona-Pandemie: Inzidenz, Fallsterblichkeit, Überdispersion -- das sind nicht einfach neue Vokabeln, die wir lernen müssen, sondern es geht um ein grundlegendes Verständnis von statistischen Daten und Zusammenhängen als Grundlage für die Steuerung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Legitimation politischer Entscheidungen.

 

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Die zwei zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, zu denen sich politische Bildung positionieren muss, sind meines Erachtens die Digitalisierung und das Klimaproblem. Digitalisierung verändert grundlegend die Rahmenbedingungen unseres sozialen und politischen Zusammenlebens, und dies in einer Geschwindigkeit, mit der kaum mitzuhalten ist. Nachhaltigkeit ist die existenzielle politische Herausforderung für unsere und die nächsten Generationen.

 

4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?

Wenn mit „Praxis“ hier die verschiedenen „Praxen“ politischer Bildungsarbeit gemeint sind, dann ist deren Dialog mit der akademischen politischen Bildung von hoher Bedeutung. Ein fachdidaktischer Diskurs zwischen der Bildungsarbeit auf verschiedenen Ebenen wäre enorm wichtig, ist in der Realität aber leider eher die Ausnahme. – Politische Bildung ist im Kern sozialwissenschaftliche Bildung und hat insofern immer schon mehrere fachwissenschaftliche Bezugsdisziplinen. Der fachliche Diskurs mit den Lebens- und Naturwissenschaften sowie der Mathematik wird gegenwärtig meines Erachtens für die politische Bildung immer wichtiger. Die Zusammenarbeit mit dem Mathematikdidaktiker Joachim Engel (s.o.) empfinde ich als besonders anregend und fruchtbar.

 

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Im Kontext des erwähnten Projekts mit Martin Kenner wären wir an Kooperationen mit lehrer*innenbildenden Institutionen in den verschiedenen Ausbildungsphasen (Studium, Referendariat, Weiterbildung) interessiert, die das Thema Diagnostik und Urteilsbildung verfolgen. Wir haben ein digitales Modul zum Selbstlernen entwickelt, dass die Fähigkeit zur „Urteilsdiagnosekompetenz“ systematisch schult, aufbaut und mit didaktischen Überlegungen zur Unterrichtsplanung vernetzt. Auch in anderen thematischen Zusammenhängen freue ich mich über Kontaktaufnahmen.


Veröffentlicht am 14.09.2022

 

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