„Politische Bildung darf nicht defizitorientiert sein, sie muss Kinder und Jugendliche ermutigen ihre Ideen für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft einzubringen.“ Fünf Fragen an Steve Kenner

Dr. Steve Kenner ist Teil der Geschäftsführung des Center for Inclusive Citizenship (CINC) und Akademischer Rat am Institut für Didaktik der Demokratie an der Universität Hannover. Im Kurzinterview spricht er über die Erkenntnisse aus seiner Forschung zu selbstbestimmten politischen Bildungserfahrungen in politischen Jugendbewegungen, über sein aktuelles Projekt an der Schnittstelle von politischer Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.


Dr. Steve Kenner (Foto: Gianna Meier)

Dr. Steve Kenner ist Teil der Geschäftsführung des Center for Inclusive Citizenship (CINC) und Akademischer Rat am Institut für Didaktik der Demokratie an der Universität Hannover. Im Kurzinterview spricht er über die Erkenntnisse aus seiner Forschung zu selbstbestimmten politischen Bildungserfahrungen in politischen Jugendbewegungen, über sein aktuelles Projekt an der Schnittstelle von politischer Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung „KLIMA-AKTIV“ und fordert mehr Forschung im Bereich demokratische Schulentwicklung.

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Mein letztes Forschungsprojekt war die Studie „Politische Bildung in Aktion“. Die Ergebnisse legen offen, dass die selbstbestimmte politische Aktion von jungen Menschen, beispielsweise in Jugendbewegungen wie Fridays for Future, zu vielfältigen (Selbst)Bildungsgelegenheiten führen kann.

Aktuell leite ich mit Prof. Dr. Dirk Lange das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Transferprojekt „KLIMA-AKTIV“, in dem wir sozial-ökologisches Engagement für nachhaltige Entwicklung an Schulen ermöglichen, mit den Schüler*innen über Nachhaltigkeitsdilemmata diskutieren und damit verbundene politische Bildungsprozesse begleiten.

Außerdem bin ich Mitglied im DFG-Forschungsnetzwerk zur Bestimmung des Verhältnisses von Demokratiebildung und politischer Bildung.

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?

Eine Erkenntnis meiner Forschungsarbeit der letzten Jahre, die ich hervorheben möchte, ist die Bedeutung selbstbestimmter politischer Partizipationserfahrungen junger Menschen für die Entwicklung politischer Selbstwirksamkeitserfahrungen, aber auch für die Ausbildung des notwendigen Handwerkzeuges mündiger Bürger*innen. Politische Orientierungsfähigkeit, Urteilsbildung, Kritik- und Konfliktfähigkeit sowie Handlungskompetenz bilden sich in selbstbestimmter politischer Aktion heraus. Unkonventionelle Partizipationsformen, wie lokale Initiativen von Bürger*innen und politische Bewegungen, gewinnen als politische (Selbst)Bildung in einem lebenslangen Lernprozess an Bedeutung, diese sollten daher verstärkt in den Blick genommen werden.

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Politische Bildung darf nicht defizitorientiert sein, sie muss Kinder und Jugendliche ermutigen ihre Ideen für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft einzubringen. Dafür brauchen sie Möglichkeiten für politische Selbstbildung durch reale Erfahrungsräume. Es wäre ratsam, politische Arbeitsgemeinschaften, beispielsweise für den Klimaschutz und/oder gegen Rassismus an Schulen, zu etablieren, genauso wie regelmäßige Vollversammlungen der Schüler*innen und ein allgemeinpolitisches Mandat für ihre Interessensvertretung. Welche Auswirkungen das auf den Sozialisationsort Schule hat und inwiefern diese Transformation der Schule zu einem Lernort der Demokratie positive Effekte hätte und damit einen Beitrag für eine politische Bildung für nachhaltige Entwicklung leisten kann, sollten dann verschiedene qualitative und quantitative Forschungsprojekte in den Blick nehmen.

4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?

Politische Bildung ist interdisziplinär angelegt. Dafür braucht es Erkenntnisse aus der Soziologie, Politik- und Geschichtswissenschaft, der Pädagogik, Psychologie und weiterer Felder. Es braucht aber auch einen engen Austausch zwischen Forschung und Praxis. Das gilt für die schulische politische Bildung genauso wie für die außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung. Nur so können theoretische und empirische Erkenntnisse sowie praktische Erfahrungen direkt miteinander abgeglichen, neue (Forschungs)Fragen aufgeworfen sowie Perspektiven und Möglichkeiten für die Praxis geschaffen werden.

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Ich freue mich über jede Form des Austausches im Feld der politischen Bildung. Interessiert bin ich insbesondere an Kooperationen und Diskursen zu den Themenfeldern politische Bildung für nachhaltige Entwicklung, Digitalisierung und demokratische Schulentwicklung.

 

Veröffentlicht am 02.11.2021

 

Zum Weiterlesen

  • Sie finden Steve Kenner in der Landkarte der Forschung zu politischer Bildung
  • „Angesichts der Tatsache, dass das oberste Bildungsziel von Schule Mündigkeit ist und sie einen demokratischen Bildungsauftrag hat, ist es doch erstaunlich, wie unpolitisch Schule verstanden wird.“ Interview mit Steve Kenner mehr lesen (Videoausschnitt des Interviews auf YouTube)
  • Kenner, Steve (2021): Politische Bildung in Aktion. Eine qualitative Studie zur Rekonstruktion von selbstbestimmten Bildungserfahrungen in politischen Jugendinitiativen (Open Access) mehr lesen


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