„Ich will die Erkenntnisse der neurobiologischen Hirnforschung für die Einsicht in die Voraussetzungen politischer Urteilsbildung fruchtbar machen.“ Fünf Fragen an Andreas Anter

Andreas Anter ist Professor für politische Bildung an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Er beschäftigt sich aktuell mit der Relevanz neurobiologischer Erkenntnisse für die Voraussetzungen politischer Urteilsbildung. In der Schule beobachtet er verstärkt eine Aushebelung des Kontroversitätsgebots. Er wünscht sich deshalb noch mehr Forschung zu den hieraus entstehenden Folgen für politische Bildung und Demokratie.


Portraitfoto von Prof. Dr. Andreas Anter

Prof. Dr. Andreas Anter (Foto: Hans Jakob Rausch)

Andreas Anter ist Professor für politische Bildung an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Er beschäftigt sich aktuell mit der Relevanz neurobiologischer Erkenntnisse für die Voraussetzungen politischer Urteilsbildung. In der Schule beobachtet er verstärkt eine Aushebelung des Kontroversitätsgebots. Er wünscht sich deshalb noch mehr Forschung zu den hieraus entstehenden Folgen für politische Bildung und Demokratie.

 

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Im Moment beschäftige ich mich mit den Voraussetzungen und Bedingungen der politischen Urteilsbildung, insbesondere mit Blick auf ihre neurobiologischen Grundlagen. In der Politikdidaktik firmiert die politische Urteilsfähigkeit zwar als eines der wichtigsten Ziele der politischen Bildung, aber es ist nach wie vor unklar, auf welchen Voraussetzungen sie beruht. In dieser Hinsicht ist nicht zuletzt die Frage relevant, welche Prozesse sich bei der politischen Urteilsbildung im Gehirn abspielen. Mein aktuelles Forschungsvorhaben will die Erkenntnisse der neurobiologischen Hirnforschung für die Einsicht in die Voraussetzungen politischer Urteilsbildung fruchtbar machen.

 

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?

In der politischen Bildung ist seit einigen Jahren das Thema „Macht“ besonders stark nachgefragt. Das anhaltende Interesse beruht schon allein darauf, dass wir in unserem privaten wie beruflichen Leben unweigerlich Machtverhältnissen ausgesetzt sind. Nicht immer finden diese Machtverhältnisse unsere Zustimmung. Aber warum sind menschliche Beziehungen scheinbar unausweichlich durch Macht geprägt? Mein Buch „Theorien der Macht zur Einführung“ (5. Auflage 2021) bietet eine kompakte Auseinandersetzung mit dieser kontroversen Frage.

 

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Eines der Kernprinzipien der politischen Bildung ist das Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. In den letzten Jahren wird dieses Prinzip jedoch zunehmend ausgehebelt: Wenn der Unterricht als „Safe Space“ definiert wird, wird manches kontroverse Thema nicht mehr thematisiert, sondern beschwiegen. Auch durch die Praxis der „Political Correctness“ werden Konflikte zunehmend dethematisiert und das Kontroversitätsgebot außer Kraft gesetzt. Erste Studien widmen sich den empirischen Folgen dieser Entwicklung für die politische Bildung wie auch für die Demokratie selbst. Es wäre zu begrüßen, wenn diese Forschung weiter intensiviert würde.

 

4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?

Die politische Bildung ist auf den ständigen Dialog mit den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und ihren jeweils aktuellen Ergebnissen angewiesen, andernfalls würde sie trivial. Umgekehrt sind auch die Wissenschaften darauf angewiesen, ihr Wissen ständig mit den Befunden der Praxis abzugleichen, um nicht zu einer artifiziellen und realitätsfernen Veranstaltung zu werden.

 

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

m Moment freue ich mich besonders über Anfragen und Kontaktaufnahmen aus dem Bereich der politischen Ideengeschichte und dem Bereich der Neurowissenschaften. Ganz allgemein freue ich mich über Anfragen und Kontaktaufnahmen aus den verschiedenen Disziplinen wie auch den Praxisfeldern der politischen Bildung. Die Wissenschaft lebt vom ständigen Austausch mit der Praxis wie auch von der kontroversen Diskussion ihrer – hoffentlich – unterschiedlichen Lehrmeinungen. Und sie lebt von der Bereitschaft, die eigene Meinung zu hinterfragen.



Veröffentlicht am 01.08.2022



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