„Für selbstbestimmte politische Lernprozesse braucht es Freiräume, die in der von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen bestimmten staatlichen Regelschule keine Selbstverständlichkeit sind.“ Fünf Fragen an Heike Krösche
Dr.in Heike Krösche forscht am Arbeitsbereich Geschichte und Politische Bildung am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck zu Konzepten für einen fächerübergreifenden Unterricht der historischen und politischen Bildung. Im Interview teilt sie Erkenntnisse aus ihrer Forschung zu Professionalisierungspotenzialen zum politikbezogenen Lernen im Sachunterricht an österreichischen Schulen.
Dr.in Heike Krösche forscht am Arbeitsbereich Geschichte und Politische Bildung am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck zu Konzepten für einen fächerübergreifenden Unterricht der historischen und politischen Bildung. Im Interview teilt sie Erkenntnisse aus ihrer Forschung zu Professionalisierungspotenzialen zum politikbezogenen Lernen im Sachunterricht an österreichischen Schulen. Sie wünscht sich außerdem noch mehr Forschung mit intersektionalen und differenztheoretischen Zugängen.
1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?
Aktuell beschäftige ich mich auf theoretischer und empirischer Ebene mit Konzepten fächerübergreifenden Unterrichts unter besonderer Berücksichtigung der Schnittmengen von historischer und politischer Bildung. Obwohl über das Verhältnis historischen und politischen Lernens seit den 1950er Jahren diskutiert wird, gibt es bislang kaum Überlegungen, was das Zusammenwirken der beiden Fachperspektiven für den kompetenzorientierten Unterricht bedeutet. Für die Unterrichtspraxis entsprechender Kombinationsfächer hat das zur Folge, dass beide Perspektiven eher additiv und nicht miteinander verschränkt unterrichtet werden. Das Zusammenwirken verschiedener Fachperspektiven in einer wachsenden Anzahl von Fächerverbünden stellt somit neue Anforderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrer*innen. Diese Überlegungen knüpfen sehr gut an meine bisherige Arbeit im Bereich der Professionalisierungsforschung an, wobei ich mich insbesondere auf politikbezogene Lernprozesse im Sachunterricht fokussiert habe. Dabei ging es u.a. um die Frage, welche inhaltlichen Präferenzen Studierende des Lehramts Primarstufe hinsichtlich der Umsetzung politischen Lernens im Sachunterricht haben. Die Ergebnisse wurden hier veröffentlicht.
2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?
Die Entwicklung politikbezogener Kompetenzen beginnt bereits im Grundschulalter und sollte auf Mündigkeit als Zieldimension ausgerichtet sein. Um den Lernenden eine selbstbestimme Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Aufgaben und Problemen zu ermöglichen, braucht es Freiräume, die in der von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen bestimmten staatlichen Regelschule keine Selbstverständlichkeit sind. Nur in offenen Lernprozessen, in denen Dissens nicht von vornherein negativ konnotiert ist, kann die selbstständige und kritische Urteilsbildung gefördert werden. Derartige Lernprozesse zuzulassen bzw. zu initiieren, trauen sich österreichische Primarstufenlehrkräfte kaum zu. Gleichzeitig besteht aber unter Lehramtsstudierenden grundsätzlich eine große Bereitschaft zur Umsetzung politischer Lernprozesse. Es braucht demnach mehr handlungsorientierte Angebote während des Studiums, um vor allem die Selbstwirksamkeitserfahrungen von Studierenden zu fördern.
3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?
Schulische und außerschulische politische Bildung sind der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend von einer hohen Diversität geprägt. Das wirkt sich auf die Möglichkeiten einer gleichberechtigten Teilhabe an Partizipationsmöglichkeiten aus. Obwohl in diesem Zusammenhang politikdidaktische Forschungsanstrengungen zu Fragen des Umgangs mit Vielfalt und Heterogenität intensiviert wurden, sehe ich noch Bedarf hinsichtlich der Berücksichtigung von intersektionalen Ansätzen oder differenztheoretischen Zugängen.
4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?
Der Dialog zwischen den Wissenschaftsdisziplinen wird aus zwei Gründen immer wichtiger: Zum einen verlangen die im Zuge der Dynamik gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Herausforderungen komplexer werdenden Problemstellungen ein Denken über Disziplingrenzen hinaus. Zum anderen entstehen in den deutschsprachigen Bildungssystemen zunehmend gesellschaftswissenschaftliche Fächerverbünde, für deren Umsetzung interdisziplinär stärker kooperiert werden muss.
5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?
An einem inhaltlichen und konzeptionellen Austausch zu den skizzierten Themen und Fragestellungen bin ich genauso interessiert wie an methodisch-methodologischen Aspekten der fachspezifischen und fächerübergreifenden Unterrichtsforschung.
Veröffentlicht am 30.08.2023
Zum Weiterlesen
- Sie finden Dr.in Heike Krösche auch in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung mehr lesen