„Gerade in Zeiten wie diesen können und müssen wir zeigen, dass politische Bildung mehr ist als nur Feuerwehr. Wir brauchen eine politische Bildung für alle!“

„Wie geht's? Wenig erreichte Zielgruppen der politischen Bildung – Zugangsmöglichkeiten“ – unter diesem Titel diskutierten am 5. und 6. Dezember 2016 über 100 Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen und weitere Multiplikator_innen der politischen Bildung bei der Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung in Berlin. In Vorträgen, einer Podiumsdiskussion und 16 Transferdialogen wurde das Thema aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven und vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Praxis diskutiert und wurden Perspektiven für die politische Bildung entwickelt.


Foto: Fotostudio Heupel

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Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung bringt Forschung und Praxis zusammen

„Wie geht's? Wenig erreichte Zielgruppen der politischen Bildung – Zugangsmöglichkeiten“ – unter diesem Titel diskutierten am 5. und 6. Dezember 2016 über 100 Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen und weitere Multiplikator_innen der politischen Bildung bei der Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung in Berlin. In Vorträgen, einer Podiumsdiskussion und 16 Transferdialogen wurde das Thema aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven und vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Praxis diskutiert und wurden Perspektiven für die politische Bildung entwickelt.

Die Veranstaltung fand in diesem Jahr in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, die auch Veranstaltungsort war, dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und dem Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin statt.

„Zu Fuß durch ein nervöses Land. Auf der Suche nach dem, was uns zusammenhält“

Im Eröffnungsvortrag berichtete der Schriftsteller und Journalist Jürgen Wiebicke über seine Erfahrungen und Erkenntnisse im Sommer 2015, die er auch in seinem Buch, „Zu Fuß durch ein nervöses Land. Auf der Suche nach dem, was uns zusammenhält“, veröffentlicht hat. Wiebicke sprach von einem „Geselligkeitsproblem“, er habe die Erfahrung gemacht, dass viele sich einbringen wollen, aber gar nicht mehr wüssten, wie das geht. Er gab zu bedenken, dass die Veränderungen durch Globalisierung nicht nur in Städten sichtbar werden, sondern sich insbesondere in ländlichen Räumen zeigen. Er forderte die politische Bildung auf, Orte für Begegnungen zu schaffen und die eigene Haltung gegenüber ihren Adressat_innen zu reflektieren.

Im anschließenden Podiumsgespräch mit Jürgen Wiebicke, Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und Dr. Helle Becker, Projektleitung der Transferstelle politische Bildung, forderte Krüger die politische Bildung auf, mehr Kontrollverlust zu wagen, analoge Orte für das Aushandeln von Wertvorstellungen in heterogenen Gruppen zu schaffen und Emotionen in Bildungsprozessen nicht zu ignorieren. 

„Jugendliches politisches Engagement – Impulse für die politische Bildung“

Der Politikwissenschaftler Sven Liebert betonte in seinem Vortrag das wachsende politische Interesse junger Menschen und sprach über ihr politisches Engagement. Er machte deutlich, dass letzteres heute häufig abseits von Parteien stattfinde. Gerade darin sieht Liebert eine Chance für die politische Bildung und die Zivilgesellschaft. Er empfahl das Thema Politik von negativ konnotierter Parteipolitik zu entkoppeln und niedrigschwellige, wirksamkeitsorientierte Angebote vor Ort zu schaffen.

„Angezielt und doch daneben? Ein kritischer Überblick über die Forschung“

Dr. Helle Becker und Barbara Christ von der Transferstelle politische Bildung gaben im Anschluss einen Überblick über die Forschungslage zum Thema Zugangsmöglichkeiten zu bisher wenig erreichten Zielgruppen. Die Transferstelle politische Bildung hat 2016 dafür mehr als 160 empirische Forschungsarbeiten zusammengetragen. Die Referentinnen machten anhand von Beispielen deutlich, dass es vielfältige Zugänge gibt, die Forschung und Praxis politischer Bildung bereits darstellen. Gleichfalls wiesen sie darauf hin, dass es insbesondere im Bereich der (politischen) Erwachsenenbildung Forschungsdefizite gibt. Sie reflektierten außerdem die Fokussierung auf Zielgruppen.

„Die Einteilung in Zielgruppen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Sie beschreibt u. a. eine einseitige Perspektive der Anbieter politischer Bildung. Dies widerspricht einem Verständnis von Bildung als Selbstbildung und Koproduktion und es widerspricht einer Haltung, dass politische Bildung nicht nur eine Anbieterperspektive einnehmen sollte, bei der sich Teilnehmende etwas abholen können, sondern, dass sie auch eine Bringschuld hat“ so Dr. Helle Becker, Projektleitung der Transferstelle politische Bildung.

Dr. Becker problematisierte außerdem eine paternalistische Haltung, die die Sinnhaftigkeit politischer Bildung für bestimmte Zielgruppen fraglos voraussetzt und schlug vor, diese durch eine empathische Perspektive zu ersetzen. Sie betonte, dass es persönliche Verhaltensrationalitäten für eine Teilnahme oder Nicht-Teilnahme gibt, die grundsätzlich weder besser noch schlechter seien als andere.

„Eine inklusive politische Bildung muss den Blickwinkel um eine kritische Wahrnehmung der eigenen Schließungsmechanismen, wie z. B. Kommunikation, Habitus oder paternalistisches Denken, erweitern.“ so Dr. Becker. Politische Bildung dürfe sich außerdem nicht mit dem Status quo abfinden und sollte Betroffene ermächtigen, exkludierende Grenzen aufzubrechen und legitime soziale Schließungen zu gestalten. Mehr Offenheit sei notwendig, dazu gehöre auch, sich auch von den eigenen Adressat_innen bilden zu lassen.

„Wenn politische Bildung ihrem Anspruch gerecht werden will, kein Elitenprojekt zu sein, sind eine grundsätzliche Sensibilisierung und ein ständiger Perspektivwechsel nötig“, so Dr. Becker. Gleichzeitig müsse sich politische Bildung intensiv mit Ausschlusslinien, aber auch mit Anschlusslinien, die quer zu traditionellen Zielgruppenkonstruktionen liegen, beschäftigen. Diese Anschlusslinien dienten auch der Orientierung für die Auswahl der Themen für die Transferdialoge der Veranstaltung.

„Wir brauchen mehr Transferdialoge!“ 

Im Zentrum der Fachtagung standen zahlreiche moderierte Transferdialoge, in denen Forscher_innen, Praktiker_innen und Unterstützer_innen politischer Bildung aktuelle Ergebnisse empirischer Forschung aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Praxiserfahrungen diskutierten, Forschungslücken aufzeigten und Perspektiven für die politische Bildung formulierten, um Zugänge zu bisher wenig erreichten Zielgruppen zu schaffen. Die Themen der Transferdialoge reichten von Fragen bzgl. des Habitus oder der passenden Ansprache über die Chancen aufsuchender Bildungsarbeit bis zu Fragen der Aktualität oder Methoden und Formaten politischer Bildung. Dr. Friedrun Erben vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, die die Abschlussdiskussion moderierte, betonte die Notwendigkeit des Austauschs zwischen Forschung und Praxis und brachte eine wichtige Erkenntnis der Jahrestagung auf den Punkt: „Wir brauchen mehr Transferdialoge!“ 

„Geht’s so? Konsequenzen für die politische Bildung“

Zum Abschluss der zweitägigen Fachtagung diskutierten auf dem Podium Prof. Dr. Sabine Achour, Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin, Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), Arne Busse, Fachbereichsleiter „Zielgruppenspezifische Angebote“ der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Dr. Helle Becker, Projektleitung der Transferstelle politische Bildung und Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung die Konsequenzen der Jahrestagung für die politische Bildung. In der Diskussion wurde insbesondere für die außerschulische politische Bildung und die politische Erwachsenenbildung auf fehlende Forschungsstrukturen sowie auf den Abbau der didaktischen Ausbildung hingewiesen, da kaum noch Lehrstühle für beide Bereiche an den Hochschulen existieren. Gefordert wurden mehr Kooperationen sowie mehr Anerkennung politischer Bildung in und außerhalb von Schule. „Gerade in Zeiten wie diesen können und müssen wir zeigen, dass politische Bildung mehr ist als nur Feuerwehr. Wir brauchen eine politische Bildung für alle!“ so Dr. Helle Becker zum Abschluss der Diskussion.

Tagungsdokumentation

Die ersten Videomitschnitte der Tagung sind bereits online. mehr

Die weitere Dokumentation mit Berichten, Videoaufzeichnungen finden Sie hier

Die Dokumentation wird in den nächsten Wochen laufend erweitert.

Fotografische Eindrücke finden Sie hier

Fotoanfragen und Kontakt:

Julia Schreier
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 0201 85791454-2
E-Mail: schreier@transfer-politische-bildung.de



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