„Die Finanzierung der Einrichtungen muss auf einen angemessenen Stand gebracht werden.“ Interview mit Friedhelm Jostmeier von der LAAW

Friedhelm Jostmeier ist Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung (LAAW) NRW e.V. Wir haben ihn zu den Zielen, der Entwicklung und den politischen Konsequenzen des wissenschaftlich begleiteten Gesamtvorhabens „Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für ‚Bildungsferne‘ befragt. Die LAAW war Projektträger bzw. Teil des Trägerkreises der einzelnen Projekte im Gesamtvorhaben.


Friedhelm Jostmeier, LAAW (Foto: privat)

Friedhelm Jostmeier, LAAW (Foto: privat)

Friedhelm Jostmeier ist Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung (LAAW) NRW e.V. Wir haben ihn zu den Zielen, der Entwicklung und den politischen Konsequenzen des wissenschaftlich begleiteten Gesamtvorhabens „Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für ‚Bildungsferne‘“ befragt. Die LAAW war Projektträger bzw. Teil des Trägerkreises der einzelnen Projekte im Gesamtvorhaben. (Weitere Informationen zu dem Gesamtvorhaben finden Sie unter dem Interview).


Transferstelle politische Bildung: Was war der Ausgangspunkt des Gesamtvorhabens „Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für ‚Bildungsferne‘?

Friedhelm Jostmeier: Den zentralen Anstoß für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema „Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für ‚Bildungsferne‘ lieferten die wissenschaftlichen Erhebungen zur Weiterbildungsbeteiligung und die damit einhergehenden Diskussionen im (weiterbildungs-)politischen Raum. Statistiken wie die OECD-Veröffentlichung „Bildung auf einen Blick“ oder der Nationale Bildungsbericht zeigten, dass sich in Deutschland im internationalen Vergleich weniger Menschen weiterbilden. So machte auch die Trendanalyse 2008 des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) deutlich, dass insbesondere ‚bildungsferne‘ Erwachsene in sehr geringem Umfang an Lehrgängen, Seminaren und Kursen der Weiterbildung teilnahmen. Dies trifft auch auf die politische (Erwachsenen-)bildung zu.

Das in Nordrhein-Westfalen für Weiterbildung zuständige Schulministerium forderte im Herbst 2008 die vier vom Land geförderten Landesorganisationen der gemeinwohlorientierten Weiterbildung – den Landesverband der Volkshochschulen NRW e.V., die Landesarbeitsgemeinschaft für katholische Erwachsenen- und Familienbildung e.V., die Landesorganisation für evangelische Erwachsenenbildung NRW und die Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung NRW e.V. – zu einem Projektvorschlag auf.

TpB: Wie sah dieser Projektvorschlag dann aus?

FJ: Unter Einbeziehung der Weiterbildungspraxis und einer wissenschaftlichen Begleitung sollte das Projekt über die Entwicklung und Erprobung von lebensweltbezogenen Zugängen Wege aufzeigen, wie Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten und ‚bildungsfernen‘ Milieus für Angebote der Weiterbildung gewonnen werden können. In den insgesamt vier geförderten Projektjahren gab es zwei Schwerpunkte: In den ersten beiden Jahren ging es vor allem darum, Menschen aus benachteiligten Milieus durch niedrigschwellige Angebote einen Zugang zu den Angeboten der Weiterbildung zu eröffnen. In der zweiten Projektphase ging es vor allem darum, die sozialraumorientierten Angebote (Stichwort: aufsuchende Bildungsarbeit) durch passende Informations- und Beratungsangebote besser und gezielter an die Adressat_innen zu bringen.

In beiden Projektphasen sollten – mit unterschiedlichen Akzenten – neue Formen der Bedarfserhebung, der Angebotsentwicklung und der Durchführung getestet werden. Zudem sollten die Formen der Ansprache zur Gewinnung von Teilnehmenden – sowohl was die Sprache als auch die Werbemittel und die Öffentlichkeitsarbeit betrifft – überprüft und durch Berücksichtigung milieuspezifischer Aspekte neue Netzwerke erschlossen und eine gezielte Bildungsberatung und -begleitung weiterentwickelt werden.

TpB: Mit welchen Grundannahmen wurde das Vorhaben begonnen?

FJ: Wir sind davon ausgegangen, dass die Bemühungen von Weiterbildungseinrichtungen, ‚bildungsferne‘ Zielgruppen anzusprechen, umso eher gelingen, je stärker ‚bildungsferne‘ Erwachsene ihre eigene Weiterbildung als nützlich für die Bewältigung des Alltags empfinden.  Dieser Ansatz war leitend für das erste Projekt „Potenziale der Weiterbildung über den Zugang zu sozialen Gruppierungen entwickeln“ (Potenziale I). Nach Abschluss dieses Projektes wurde dieser Ansatz in einem zweiten Projekt „Bildungsferne – ferne Bildung: Transferprojekt neue Potenziale für die Weiterbildung“ (Potenziale II) ausgeweitet.

Mit dem Transferprojekt wurden die Projektergebnisse aus “Potenziale I” in Form von Arbeitshilfen, Modulen, Workshops und Vorträgen landesweit in NRW zugänglich gemacht werden. Adressat_innen waren die durch das Land geförderten Weiterbildungseinrichtungen, Beschäftigte im Weiterbildungssektor sowie Entscheidungsträger aus der Landes- und Weiterbildungspolitik.

TpB: Wie ging es nach diesen beiden Projekten dann weiter?

FJ: Inzwischen war die nach dem Weiterbildungsgesetz geförderte Weiterbildung in NRW durch das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) evaluiert worden. In seinem Gutachten stellte das DIE 2011 fest, dass die Weiterbildungsberatung in NRW entwicklungsfähig und entwicklungsbedürftig sei. Es empfahl, vorhandene Kooperationen und Vernetzungen zu nutzen und Beratung stärker auf ‚bildungsferne‘ Menschen zu konzentrieren. Auch aus diesem Grund hat dann das nordrhein-westfälische Schul- und Weiterbildungsministerium (MSW) auch noch das dritte Projekt „Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld“ im Rahmen des Gesamtvorhabens für zwei Jahre gefördert.

Ziel dieser zweiten Projektphase war, herauszufinden, wie sich schon vorhandene Beratungs- und Unterstützungsstrukturen – beispielsweise aus der Sozialen Arbeit – sinnvoll mit Weiterbildung zum Nutzen der Adressat_innen vernetzen lassen und was von Seiten der Weiterbildung zu beachten und ggf. zu verändern ist, damit die angestrebte Aufgabe erfüllt werden kann.

TpB: Wie wurden die Erkenntnisse gesichert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemachts?

FJ: Das Projekt wurde wissenschaftlich durch Prof. Dr. Helmut Bremer, Universität Duisburg-Essen, begleitet. Die Ergebnisse dieser Begleitung wurden dokumentiert und über die Internetseiten der beteiligten Projektpartner der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Aus dem Abschlussbericht des letzten Projekts „Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld“ entstand außerdem das von Prof. Dr. Helmut Bremer, Mark Kleemann-Göring und Farina Wagner herausgegebene Buch „Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für „Bildungsferne“. Um die Erkenntnisse aus den Projekten nachhaltig in die Arbeit einfließen zu lassen, wurden neben Fortbildungen für pädagogisch tätige Erwachsenenbildner_innen und Bildungsberater_innen auch Arbeitshilfen für Multiplikator_innen entwickelt.

TpB: Wie sind die Aussichten für die Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für ‚Bildungsferne‘ in NRW? Welche Konsequenzen hatte das Gesamtvorhaben politisch? 

FJ: Wesentliche Ergebnisse aus dem Projektzusammenhang wurden bereits in den Empfehlungen der Weiterbildungskonferenz des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW (MSW) vom 24.10.2012 berücksichtigt. Den Empfehlungen war ein mehrmonatiger Diskussionsprozess vorausgegangen, an dem vom zuständigen Ministerium auch die vier Landesorganisationen der Weiterbildung beteiligt waren.

Explizit bezog man sich auf die bis dahin vorliegenden Erfahrungen und Ergebnisse aus den Potenziale-Projekten. In Sachen Förderung blieben die Aussagen der Empfehlungen der Weiterbildungskonferenz 2012 aber zurückhaltend. Lediglich im Zuge der vermehrten Zuwanderung von geflüchteten Menschen hat das Land durch zusätzliche Fördermittel nachgesteuert.

TpB: Wie ging die Diskussion nach der Weiterbildungskonferenz 2012 weiter?

FJ: In der weiterbildungspolitischen Diskussion ist das Thema ‚Bildungsferne‘ erst 2015 wieder Gegenstand der Fachdiskussion geworden. Der von Ministerin Sylvia Löhrmann ins Leben gerufene Landesbeirat für die gemeinwohlorientierte Weiterbildung in NRW beschloss am 25.10.2016 unter der Überschrift „Vielfalt gestalten – Weiterbildungsbeteiligung erhöhen” Empfehlungen zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung. Damit dies gelingt, „müssen die soziale Herkunft, soziale Lagen und besondere Belastungssituationen, die Menschen in ihrer individuellen Entwicklung und in ihrem Weiterbildungsverhalten beeinflussen, differenziert berücksichtigt werden”, so das Beratungsgremium. Abschließend formuliert der Landesbeirat in seinem Empfehlungspapier fünf Forderungen. Zur Finanzierung heißt es: „Die Förderstrukturen für die gemeinwohlorientierten Weiterbildungseinrichtungen sollten weiterentwickelt werden und um zusätzliche Anreize für aufsuchende, sozialraumorientierte Bildungsarbeit- und Beratung ergänzt werden.” Mit Blick auf die schon jahrelange Unterfinanzierung der WbG [Weiterbildungsgesetz, TpB]-geförderten Weiterbildung heißt es ergänzend: „Die Finanzierung der Einrichtungen nach dem WbG muss parallel auf einen angemessenen Stand gebracht und zukunftsfähig dynamisiert werden.” Mit dieser Formulierung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die als notwendig erkannte bessere Förderung von Weiterbildungsangeboten für benachteiligte Zielgruppen nicht zu Lasten der Regelangebote gehen darf. Im Beschluss heißt es weiter: „Um diversitätsbewusste Strategien zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung mit qualifiziertem Personal in den Einrichtungen umsetzen zu können, wird mit dem QUA-LiS NRW [ Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule NRW, TpB ] vereinbart, entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote sowie Konzepte zur Organisationsentwicklung anzubieten.“ Ebenso wird die Notwendigkeit von Forschung betont: „Eine diversitätssensible Weiterbildung bedarf hinsichtlich ihrer Wirkung einer ständigen Begleitung und Evaluation. Das Land wird aufgefordert, dafür entsprechende Forschungsprogramme aufzulegen. Die Resultate sollten im Dialog mit den Akteuren genutzt werden, um nachhaltig Konzepte diversitätsbewusster Strategien zu implementieren.“ Mit seinen Empfehlungen weist der Landesbeirat einen Weg auf, um die Zugangsmöglichkeiten für benachteiligte Zielgruppen zu verbessern – eine Aufgabe, der sich Politik, Administration und Weiterbildung in der kommenden Legislaturperiode widmen müssen.



Dezember 2016

Über das Projekt

Das Gesamtvorhaben »Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für 'Bildungsferne'« setzte sich aus insgesamt dreier aufeinander aufbauenden Projekten zusammen:

  • „Das Projekt »Potenziale der Weiterbildung durch den Zugang zu sozialen Gruppen entwickeln« (kurz: »Potenziale I«; Laufzeit: 01.01.2009 bis 31.12.2009) zielte darauf, neue, bisher nicht oder kaum erreichte Menschen für Weiterbildung zu gewinnen.
    Projektbeschreibung und Abschlussbericht
  • Im Projekt »Bildungsferne – ferne Bildung: Transferprojekt neue Potenziale für die Weiterbildung» (kurz: »Potenziale II«; Laufzeit: 15.05.2010 bis 31.12.2010) ging es vornehmlich darum die Ergebnisse aus »Potenziale I« in die Breite zu tragen.
    Abschlussbericht
    [ PDF | 295 KB ]
  • Zentrales Anliegen des Projekts »Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld« (kurz: »WisU«; Laufzeit: 01.10.2012 bis 28.02.2014) war es, Möglichkeiten von Bildungsberatung für 'bildungsferne' Zielgruppen auszuloten und entsprechende Konzepte zu entwickeln. Projektbeschreibung Abschlussbericht, Workshop- und Abschlusstagungssbericht (LAAW)

Alle Projekte wurden vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW gefördert.“

(Auszug aus: Bremer, Helmut/Kleemann-Göhring Mark/Wagner, Farina (2015): Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für „Bildungsferne“. Ergebnisse, Erfahrungen und theoretische Einordnungen aus der wissenschaftlichen Begleitung von Praxisprojekten in NRW, Bielefeld, S. 9.)

 

Projektträger: Landesverband der Volkshochschulen von Nordrhein-Westfalen e.V. , Landesarbeitsgemeinschaft für katholische Erwachsenen- und Familienbildung e.V., Landesorganisation für evangelische Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen, Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung (LAAW) NRW e.V.

 

Projektstandorte: Volkshochschule im Kreis Herford, AKE-Bildungswerk e.V. in Vlotho, Evangelisches Erwachsenenbildungswerk und evangelische Familienbildungsstätte, Zentrum für Familien in Aachen, Nell-Breuning-Haus in Herzogenrath

 

 

Weiterlesen

  • „Die Integration von 'Bildungsfernen' ist für uns inzwischen eine Querschnittsaufgabe.“ Interview mit Monika Schwidde und Helga Lütkefend von der VHS im Kreis Herford'. mehr
  • „Aufsuchende Beratung funktioniert immer.“ Interview mit Rainer Rißmayer, Nell-Breuning-Haus mehr
  • „Netzwerke erleichtern den Zugang zu 'bildungsfernen' Zielgruppen“. Interview mit Prof. Dr. Helmut Bremer, verantwortlich für die wissenschaftliche Begleitung der Projekte zum Thema “Weiterbildung und Weiterbildungsberatung 'bildungsferner' Zielgruppen“ mehr
  • Datenbankeintrag: Bremer, Helmut/Kleemann-Göhring Mark/Wagner, Farina (2015): Weiterbildung und Weiterbildungsberatung für "Bildungsferne". Ergebnisse, Erfahrungen und theoretische Einordnungen aus der wissenschaftlichen Begleitung von Praxisprojekten in NRW, Bielefeld (174 S.). mehr
  • Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung „Weiterbildung und 'Bildungsferne' – Forschungsbefunde, theoretische EInsichten und Möglichkeiten für die Praxis“ Download [ PDF | 295 KB ]
  • Projektbeschreibung der Universität Duisburg-Essen: 1. Projekt „Potenziale der Weiterbildung durch den Zugang zu sozialen Gruppen entwickeln“ mehr
  • Projektbeschreibung der Universität Duisburg-Essen: 2. Projekt „Weiterbildungsberatung im sozialräumlichen Umfeld“ mehr
  • Empfehlungen des Landesbeirates für die gemeinwohlorientierte Weiterbildung in NRW zum Thema „Vielfalt gestalten – Weiterbildungsbeteiligung erhöhen“ vom 25.10.2016. [ PDF | 28 KB ]


Bereich: