„Disziplinen interessieren mich nicht, Forschung und Erfahrung schon.“ Fünf Fragen an Reinhold Hedtke

Prof. Dr. Reinhold Hedtke ist Professor für Wirtschaftssoziologie und Didaktik der Sozialwissenschaften an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Themen Sozioökonomische und Sozialwissenschaftliche Bildung sowie politische Partizipation. Im Gespräch mit der Fachstelle verweist er auf die Erkenntnisse zum Stand der politischen Bildung an deutschen Schulen.


Prof. Dr. Reinhold Hedtke (Foto: privat)

Prof. Dr. Reinhold Hedtke ist Professor für Wirtschaftssoziologie und Didaktik der Sozialwissenschaften an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Themen Sozioökonomische und Sozialwissenschaftliche Bildung sowie politische Partizipation. Im Gespräch mit der Fachstelle verweist er auf die Erkenntnisse zum Stand der politischen Bildung an deutschen Schulen.


1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Aktuell bereite ich die Erweiterung des Rankings Politische Bildung zur Sekundarstufe I, das 2020 im dritten Jahr erschienen ist, auf die gymnasiale und berufliche Sekundarstufe II vor. Das Ranking zeigt, dass von einer Gleichwertigkeit der politischen Bildung in Deutschland keine Rede sein kann. Politische Bildung steht in den Klassen 5-10 oft spät und nur kurz auf dem Stundenplan, einige Länder stellen dafür sogar weniger als zwei Prozent der gesamten schulischen Lernzeit bereit. Davor habe ich mit einem Team die Inhalte der politisch-ökonomischen Bildung an Schulen untersucht, die in Lehrplänen vorgegeben oder in Schulbüchern und Materialien vermittelt werden (Projekt „Kontroversität und Wissenschaftlichkeit in Materialien und Vorgaben für die sozioökonomische Bildung (KoWiMa)“ / Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung).


2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse halten Sie für besonders relevant für die Praxis politischer Bildung?

Ausgehend von meinem letzten Forschungsprojekt halte ich vor allem den Befund für relevant, dass man sich bei politisch, normativ und auch ideologisch aufgeladenen Inhaltskomplexen wie Demokratie in Deutschland oder soziale Marktwirtschaft kaum darauf verlassen kann, dass Curricula, Schulbücher und Lernmaterialien hinreichend plurale Perspektiven, kontroverse Positionen, kritische Distanz und reale Alternativen zum Status Quo bieten.


3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Beforscht werden sollte die Position der politischen Bildung im und zum Spannungsverhältnis zwischen der funktional-stabilisierenden Einbürgerung aller Bürger_innen in die herrschenden politischen, ökonomischen und sozialen Ungleichheitsverhältnisse einerseits, dem individuellen und kollektiven Anspruch auf politische Gleichheit in der Demokratie sowie mindestens gleiche Verwirklichungschancen in Wirtschaft und Gesellschaft andererseits.


4. Welchen Gewinn für die politische Bildung kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis bringen sowie ein Austausch sowohl zwischen den Wissenschaftsdisziplinen als auch innerhalb dieser?

Politische Bildung ist interdisziplinär und transdisziplinär, es geht ihr (mindestens) um die Gestaltung von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Recht als Gegenstand des Lernens und als Handlungsoption der Lernenden. Wissenschaft und Praxis sind aus guten Gründen getrennt. Die eine ist der anderen nicht übergeordnet. Wissenschaft legitimiert sich auch durch Bezug auf Praxis, Praxis legitimiert sich auch qua Wissenschaft. Dialoge sind deshalb sinnvoll.


5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern: zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Disziplinen interessieren mich nicht, Forschung und Erfahrung schon. Ich freue mich über einen Austausch zur Frage, ob und wie in staatlich oder privatwirtschaftlich kontrollierten Kontexten politischer Bildung fundamentale Problemlagen wie systematische Ungleichheit, institutionalisierte Verantwortungslosigkeit und blockierte Transformation radikal und ergebnisoffen thematisiert werden können.


Veröffentlicht am 04.07.2020


Zum Weiterlesen

  • Sie finden Reinhold Hedtke in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung.
  • Datenbankeintrag: Gökbudak, Mahir / Hedtke, Reinhold. Ranking Politische Bildung in der Sek. I: 2017 bis 2019 mehr lesen

  • Hedtke, Reinhold/ Kahle, Patrick/  Henning Middelschulte, Henning/ Sack/ Dettlef unter Mitarbeit von Heimann/ Johanna (2019): Kontroversität und Wissenschaftlichkeit in Materialien und Vorgaben für die sozioökonomische Bildung (KoWiMa,  Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (e.V.i.L.)  mehr lesen


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