„Wie wollen wir Hass und Extremismus bremsen, ohne zu wissen, wo die Ursachen liegen?“ Fünf Fragen an Andreas Zick

Prof. Dr. Andreas Zick ist Sozialpsychologe, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Radikalisierung, antidemokratische Orientierungen. Er betont die Relevanz der politischen Bildung, um Vorurteilen und menschenfeindlichen Überzeugungen entgegenzuwirken.


Prof. Dr. Andreas Zick (Foto: privat)

Prof. Dr. Andreas Zick ist Sozialpsychologe, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Radikalisierung, antidemokratische Orientierungen. Im Interview mit der Fachstelle betont er die Relevanz der politischen Bildung, vor allem, um Vorurteilen und menschenfeindlichen Überzeugungen entgegenzuwirken.

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Am liebsten würde ich kein einzelnes Projekt nennen. Die Frage, welche politische Bildung gegen Menschenfeindlichkeit, Extremismus und Diskriminierung relevant ist, ist eine Frage, die wir in vielen Projekten am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) und darüber hinaus diskutieren. Zuletzt haben wir im Rahmen der Mitte-Studie die Frage gestellt, welche politische Bildung Menschenfeindlichkeit und Zuspruch zu rechtsextremen Einstellungen zumindest bremst. Nur die Schulbildung nutzt nichts, wohl aber Demokratiebildung. Auch im Multidimensionalen Erinnerungsmonitor und in der Studie zur Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit diskutieren wir, welche Bildung Menschen brauchen, um andere mit Würde zu behandeln.


2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse halten Sie für besonders relevant für die Praxis politischer Bildung?

Derzeit erforschen wir, inwieweit reflexive Mündigkeit, also die Fähigkeit menschenfeindliche und ideologisch ausgrenzende Überzeugungen selbst und eigenständig zu hinterfragen, Vorurteile und antidemokratische Überzeugungen bremsen kann. In früheren Studien unserer Forschungsgruppe konnten wir zeigen, dass individuelle Bildungskompetenzen, wie auch die individuelle Fähigkeit zur Perspektivenübernahme oder Empathie für andere, weniger bedeutsam sind als eine sozial geteilte Bildung in Bezugsgruppen und eine Toleranz, die mit Wertschätzung für andere einhergeht.


3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Angesichts der Fakten, die zeigen, dass für politische Bildung im Kanon der schulischen oder universitären Bildung kaum Zeit und Raum ist, würde ich gerne genauer erforschen, warum das so ist. Sind wir der Meinung, politische Bildung wäre nicht so wichtig? Ein weiteres Thema, welches wir verfolgen, ist der Zusammenhang von sozialer Identifikation mit Gruppen und Bildung. Politische Bildung ist ein kollektiver Akt. Aber wie kommt sie in Gruppen zustande?


4. Welchen Gewinn für die politische Bildung kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis bringen sowie ein Austausch sowohl zwischen den Wissenschaftsdisziplinen als auch innerhalb dieser?

Wir leben in einer Demokratie, die von der Leitidee der politisch klugen Zivilgesellschaft geprägt ist. Bildung ist für unsere Gesellschaft mit Integration verbunden, eben auch der Teilhabe an politischen Prozessen. Sie kann, so die Hoffnung, am besten gelingen, wenn Wissenschaft, mit ihren Erkenntnissen über Ursachen, Facetten und Folgen von politischen Überzeugungen, und Bildungspraxis zusammenarbeiten. Wie wollen wir Hass und Extremismus bremsen, ohne zu wissen, wo die Ursachen liegen?


5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern: zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Der Austausch zwischen Forschung und Praxis findet oft über Projekte statt und ist dadurch begrenzt in Bezug auf Netzwerke und Zeit. Bildungspraxis und -anwendung ist für die Grundlagenforschung oft ein pflichtgemäßer „Add-on“ am Ende von Projekten. Hier würde ich mir gerne andere Netzwerke wünschen, die gegenseitig Wissen tauschen wie speichern. Wir sind nach Jahren der Forschung über Vorurteile immer noch nicht in Schulen und der Frage der Planung von Didaktiken und Maßnahmen der Sozialisation und Erziehung eingebunden. Es gibt kaum Ausschreibung für unsere Konflikt- und Gewaltthemen im Rahmen der Schule. Die Grenzen scheinen ziemlich undurchlässig.


Veröffentlicht am 28.08.2020


Zum Weiterlesen:

  • Sie finden Andreas Zick in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung.
  • Datenbankeintrag: Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela (2016): Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016, Bonn mehr lesen
  • Interview mit Andreas Zick (Teil 1): „Wir brauchen neue Leitbilder in der politischen Bildung.“ mehr lesen
  • Interview mit Andreas Zick (Teil 2) : „Wir brauchen Themen, zu denen auch Menschen mit sehr extremen Vorstellungen noch hinbekommen“ mehr lesen
  • Zick, Andreas / Beate Küpper, Beate / Berghan, Wilhelm (2018):
    Verlorene Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter mehr lesen
  • Datenbankeintrag: Zick, Andreas/Küpper, Beate/ Berghan, Wilhelm (2019): Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19, Bonn mehr lesen
  • MEMO Deutschland – Multidimensionaler Erinnerungsmonitor“ (2018-2020) mehr lesen


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