„Man muss nicht schon für alles eine Lösung haben, man muss aber sehr wohl bereit sein, diese erarbeiten zu wollen.“

Prof.in Anja Besand und Stefan Breuer vom Lehrstuhl für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden betreuen das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler". Im Interview mit der Fachstelle sprechen sie über bisherige Erkenntnisse sowie sich daraus ableitende Faktoren und Bedingungen, die einen reflektierten Umgang mit rechtsextremen Einstellungen an Schulen fördern.


Prof.in Dr.in Anja Besand und Stefan Breuer vom Lehrstuhl für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden betreuen das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler". Ein Ziel des Modellprojektes ist die Förderung einer bewussten Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen an beruflichen Schulen. Das Projekt wurde 2015 auf Initiative der Robert Bosch Stiftung gemeinsam mit der TU Dresden entwickelt und mit dem Sächsischen Kultusministerium durchgeführt. Eine erste wissenschaftliche Evaluation gibt es von Dr. Sebastian Fischer von der Leibniz Universität Hannover. Aktuell wird das Projekt auf andere Bundesländer ausgeweitet. Im Interview mit der Fachstelle sprechen sie über bisherige Erkenntnisse sowie sich daraus ableitende Faktoren und Bedingungen, die einen reflektierten Umgang mit rechtsextremen Einstellungen an Schulen fördern.

 

Fachstelle politische Bildung: Das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ wollte durch Qualifizierungen Berufsschullehrkräfte in ihrem Umgang mit rechtsaffinen Haltungen von Schüler_innen stärken. Dadurch sollte auch das gesamte schulische Umfeld weiterentwickelt und unterstützt werden. Wurden diese Ziele erreicht?

Anja Besand: Um diese Frage zu beantworten müssen wir ein bisschen ausholen. Wir sind mit diesem Projekt angetreten, um Lehrkräfte zu unterstützen, Handlungsstrategien im Umgang mit antidemokratischen Haltungen im schulischen Kontext zu entwickeln. In diesem Zusammenhang gingen wir zunächst davon aus, dass diese Haltungen vor allem von Schüler*innen gezeigt werden und pädagogisch bearbeitet werden müssen. Doch je tiefer wir in das Projekt einstiegen, desto deutlicher wurde, dass menschenfeindliche, rassistische oder geschichtsrevisionistische Äußerungen nicht allein von dieser Seite kommen. Schüler*innen sind in diesem Zusammenhang häufiger Opfer als Täter*innen. Die Herausforderungen ergeben sich für die Lehrkräfte also nicht nur in pädagogischen Situationen, sondern auch durch Eltern, Kolleg*innen oder andere schulnahe Personen. Die Bearbeitung fällt ihnen deshalb schwer.

Stefan Breuer: Zum Glück war das Projekt langfristig angelegt, weshalb wir die Möglichkeit hatten über einen längeren Zeitraum mit den teilnehmenden Schulen und Lehrkräften zu arbeiten. Als sinnvoll und wirksam haben sich in diesem Zusammenhang vor allem systemische Beratungsangebote erwiesen, wie Supervision oder auch kollegiale Fallberatung, in denen an konkreten Problemen und eigenen Herausforderungen gearbeitet werden konnte. Diese Instrumente machen an Schulen bestehende Probleme gut sichtbar und schaffen damit die Grundlage, diese zu bearbeiten. Man darf aber nicht glauben, dass Konflikte, die quer durch Lehrer*innenkollegien laufen, durch ein solches Projekt über Nacht verschwinden. Wie schwerwiegend diese Verwerfungen teilweise sind, haben die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation gut sichtbar gemacht.

FpB: Die wissenschaftliche Evaluation des Projekts zeigt unter anderem, dass es grundsätzliche Akzeptanzprobleme gegenüber den Projektzielen innerhalb der Lehrerkollegien an den Modellschulen gab. Meinen sie das, wenn sie auf Verwerfungen verweisen?

Anja Besand: Genau das meinen wir. Teilweise haben sich engagierte Schulleitungen darum bemüht, uns mit dem Projekt an die Schule zu holen, weil sie schon wussten, dass es Probleme an der Schule gibt. Manchmal war es auch umgekehrt, dass eine kleine Gruppe von engagierten Kolleg*innen sich an das Projekt wendeten, weil sie sich von der Schulleitung nicht genug unterstützt fühlten oder Konflikte mit einem Kollegen oder einer Kollegin auftraten, der oder die sich für die AfD einsetzt und das im Schulalltag auch sichtbar macht.

Stefan Breuer: So oder so werden die Konflikte durch unsere Anwesenheit erst einmal sichtbarer und nicht unsichtbarerer und das macht nicht alle gleichzeitig glücklich. Auf lange Sicht hatten wir aber schon den Eindruck, dass alle Schulen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, in diesem Zusammenhang vorangekommen sind. Das merkt man allein daran, dass nach einer Phase des Vertrauensaufbaus viele Schulleiter*innen gerne und oft auf unsere Unterstützung zurückgegriffen haben.

FpB: Gibt es einen Grund, weshalb das Projekt an Berufsschulen umgesetzt wurde?

Anja Besand: Leider sind Berufschulen die Schulen, für die es oft kaum passgenaue Angebote oder Maßnahmen gibt. Für den Themenbereich ist das insbesondere deshalb schwierig, weil in bestimmten Ausbildungszweigen ein nicht unerheblicher Teil der Schüler*innen mit rechtsextremem Gedankengut sympathisiert oder über geschlossene Weltbilder verfügt. Beispiele für empirische Untersuchungen, die sich mit der Thematik beschäftigen sind u.a. der der Monitor Politische Bildung an beruflichen Schulen von Anja Besand sowie eine Untersuchung von Michael Nattke. Die Herausforderungslage ist also hier besonders groß. Dies verbindet sich mit dem Umstand, dass sich in beruflichen Schulen die letzte Möglichkeit bietet, bestimmte Menschen überhaupt noch einmal pädagogisch zu erreichen. Umso mehr braucht es an dieser Stelle gut qualifizierte Kolleg*innen.

FpB: Was war der Grund zur Einbindung von Supervisor_innen?

Stefan Breuer: In seiner Dissertation konnte Rico Behrens sehr gut aufzeigen, dass es für die Arbeit im Umgang mit rechtsextremen Schüler*innen eigene Handlungsstrategien und eine reflexionsorientierte Auseinandersetzung mit eigenen Professionsüberzeugungen braucht. Ein gutes Instrument für eine solche Auseinandersetzung bietet der Ansatz der Supervision, der auch mit weiteren reflexiven Angeboten (u.a. Coaching) kombiniert werden kann. Das von Behrens geleitete Modellprojekt „Starke Lehrer, starke Schüler“ bot die Möglichkeit solche Reflexionsgelegenheiten zu schaffen und zu erproben und bildete somit einen Kernbestandteil unseres Projekts. Die eingesetzten Supervisor*innen wurden in der Projektphase zusätzlich von Expert*innen der außerschulischen politischen Bildung begleitet, die die Reflexionssitzungen mit entsprechendem Feldwissen fachlich unterstützen konnten.

FpB: Aktuell wird das Projekt auf andere Bundesländer ausgeweitet. Zeigen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern, was rechtsaffine Haltungen bei Schüler_innen und Lehrer_innen betrifft?

Stefan Breuer: Die Robert Bosch Stiftung arbeitet gerade mit der Bundeszentrale für Politische Bildung daran, den Projektansatz in andere Bundesländer zu transferieren. Aktuell geht es dabei um Niedersachsen und Brandenburg. Um aus Sicht des Projekts darüber genaue Aussagen treffen zu können, müssen wir noch etwas warten. In Niedersachsen ist es bereits angelaufen und einige erste Erfahrungen liegen vor, in anderen Bundesländern befindet sich das Projekt erst in der Einrichtungsphase.

Anja Besand: Was sich zu diesem frühen Zeitpunkt aber dennoch sagen lässt ist, dass die Herausforderung durch menschenfeindliche Einstellungen im pädagogischen Alltag überall eine Rolle spielt, wenn sie sich vielleicht auch teilweise unterschiedlich darstellt. Das lässt sich schon unter anderem daran ablesen, dass auf Angebote und Akteur*innen der politischen Bildung, die sich dagegen wenden, bundesweit Angriffe stattfinden.

FpB: Die Schulleitung hat eine Schlüsselposition für Weiterentwicklungen von Schulstruktur und -kultur. Trifft das auch auf den Wirkungserfolg des Projekts innerhalb der Modellschulen zu?

Stefan Breuer: Genau das ließ sich in unserem Modellprojekt sehr gut ablesen. Wir können sagen, dass dort, wo die Schulleitung eine aktive und unterstützende Rolle eingenommen hat, die Kolleg*innen ins Arbeiten gekommen sind und einen wertvollen Rückhalt hatten. Eine solch klare Haltung war immer dann wichtig, wenn es zu Reibungen im Kollegium kam. Überall dort, wo Unterstützung seitens der Schulleitung fehlte, behinderte dies die Kolleg*innen im Engagement und in ihrer Arbeit an der Schule. Die fehlende Haltung äußerte sich beispielsweise in der Marginalisierung oder dem Verschweigen von Problemen, in der Problemdelegation oder am fehlenden Rückhalt bei Angriffen auf die Projekttätigkeit.

FpB: Was können weitere Ansätze sein, Schulen im Umgang mit rechtsaffinen Haltungen zu stärken?

Anja Besand: Hilfreich ist es immer, wenn sich die Schulverwaltung und Kultusbehörden hier klar und eindeutig verhalten und die Lehrkräfte auch in diesem Zusammenhang einen deutlichen Rückhalt spüren. Niemand sollte in herausfordernden Situationen alleingelassen werden. Gleichzeitig ist es innerhalb der Schulen wichtig, dass Probleme mit Rassismus, Geschichtsrevisionismus und Menschenfeindlichkeit nicht an spezielle Fachlehrkräfte delegiert werden, sondern dass sich auch Lehrer*innen anderer Fächer zuständig und vorbereitet fühlen. Deshalb werben wir auch sehr dafür, dass es entsprechende, verpflichtende Ausbildungsangebote für alle angehenden Lehrerinnen und Lehrer gibt.

Stefan Breuer: Es braucht in jedem Fall eine Problemsensibilität und die Bereitschaft zu einer kontinuierlichen Arbeit am Thema. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die Unsichtbarkeit von Problemen nicht bedeutet, dass keine da sind. Dazu braucht es eine höhere Wahrnehmungssensibilität gegenüber Rassismus und anderen menschenfeindlichen Einstellungen. Man kann dies vielleicht auf die Formel bringen: „Man muss nicht schon für alles eine Lösung haben, man muss aber sehr wohl bereit sein, diese erarbeiten zu wollen.


Veröffentlicht am 21.07.2020


Titelbild der Studie: © Robert Bosch Stiftung GmbH, Stuttgart


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  • Datenbankeintrag: Besand, Anja. (2014): Monitor Politische Bildung an beruflichen Schulen, Probleme und Perspektiven mehr lesen
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