„Macht- und herrschaftskritische Perspektiven trugen jüngst dazu bei, die Politikdidaktik wieder als einen Ort des politischen Dissens zu begreifen.“ Fünf Fragen an Oliver Emde

Dr. des Oliver Emde ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim im Bereich Politikdidaktik und politische Bildung. Im Interview berichtet er von Projekten an der Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung, im Bereich politischer Bildung in/durch soziale Bewegungen und zu Kooperationen von schulischer politischer Bildung und außerschulischen Lernorten.


Dr. des Oliver Emde (Foto: privat)

Dr. des Oliver Emde ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim im Bereich Politikdidaktik und politische Bildung. Im Interview berichtet er von Projekten an der Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung, im Bereich politischer Bildung in/durch soziale Bewegungen und zu Kooperationen von schulischer politischer Bildung und außerschulischen Lernorten. Kennzeichnend für seine Arbeit ist eine reflexiv-dekonstruierende Perspektive.

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?
Gegenwärtig beschäftigen mich Lernpotenziale, die im Zusammenspiel von politischer, kultureller Bildung und künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum entstehen, zum Beispiel im Rahmen des Projekts „Urbane Monster einer imperialen Lebensweise“ Neben der Entwicklung neuer Herangehensweisen des Globalen Lernens forsche ich an diesen Konzepten unter anderem zur Frage, inwiefern kreative Arbeitsweisen – hier mit Analogien und Fabeln – für den Umgang mit gesellschaftlicher Komplexität in der politischen Bildung sinnvoll genutzt werden können. In meiner Dissertation habe ich am Beispiel politischer Stadtrundgänge den Umgang von Bildungsakteur*innen aus sozialen Bewegungen mit ihren eigenen politischen Positionen untersucht.

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse schätzen Sie als besonders relevant für die Praxis politischer Bildung ein?
Die von mir beforschten Formate von bewegungsbezogenen Akteur*innen für die Schule zeichnen sich durch eine stark reflexiv-dekonstruierende Perspektive der politischen Bildner*innen aus: Die eigene Eingebundenheit in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse wird in den Angeboten thematisiert und die politischen Positionen der Sprecher*innen transparent formuliert. Dies ermöglicht ein Lernen am Anderen und fördert eine „bezogene Urteilsbildung“ (Achim Schröder) in ganz besonderer Weise: Schüler*innen können sich an politisch positionierten, „interessanten Erwachsenen“ (Benno Hafeneger) abarbeiten und eigene Urteile in der Auseinandersetzung und in der Beziehung mit anderen schärfen.

3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?
Macht- und herrschaftskritische Perspektiven trugen jüngst dazu bei, die Politikdidaktik wieder als einen Ort des politischen Dissens zu begreifen. Eine hegemonietheoretisch inspirierte Geschichtsschreibung der politischen Bildung könnte diese Perspektive stärken und mit zum Teil teleologischen – und entpolitisierten – Darstellungen brechen. Zudem benötigen wir mehr unterrichtsbezogene Forschung im Bereich einer kritisch-emanzipatorischen politischen Bildung.

4. Welchen Gewinn kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis und ein Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen für die politische Bildung bringen?
Ein Beispiel: Im Projekt „Außerschulische Lernarrangements der politischen Bildung“ wurde das Tetraeder außerschulischer Lernarrangements [1,1 MB | pdf] entwickelt. Durch das plastische Modell können die drei Gestaltungsmerkmale von Lernarrangements – „Lernort“, „politische Bildner*innen“ und „methodisch-didaktische Zugänge“ – systematisch hinsichtlich ihres Bezugs zum Lerngegenstand und ihrer Funktion für das Vermittlungsinteresse befragt werden.
Auf der einen Seite kann das Tetraeder politische Bildner*innen bei der Planung und Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns unterstützen. Auf der anderen Seite wird das Modell durch Rückmeldungen von Lehrer*innen stets weiterentwickelt und bietet Forscher*innen erfahrungsorientierte Einblicke in die Praxis. Hier profitieren beispielhaft alle drei Phasen der Lehrer*innenbildung von einer engeren Verzahnung und Zusammenarbeit.

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?
Weil ich mehr zu kreativen Zugängen politischer Bildung zwischen künstlerischer Praxis und politisch-kultureller Bildung arbeiten möchte, freue ich mich über Kontakte aus Kunstvermittlung, kultureller Bildung und künstlerischer Praxis oder mit daran interessierten Menschen. Zudem forsche ich zu Bildungsangeboten bewegungsbezogener Organisationen – das gelingt nur gemeinsam mit Akteur*innen aus sozialen Bewegungen.

Veröffentlicht am 24.08.2021

Zum Weiterlesen

•    Sie finden Oliver Emde in der Landkarte der Forschung zur politischen Bildung.



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