„Die vielfältigen gesellschaftspolitischen Herausforderungen machen deutlich, wie wichtig politische Bildung für alle gesellschaftlichen Gruppen ist.“ (aus dem Bericht der NRW-Enquetekommission)
Die Fachstelle politische Bildung von Transfer für Bildung e.V. hat mit ihrer Expertise zum Abschlussbericht der Enquetekommission des nordrhein-westfälischen Landtags, „Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive“ (2021), beigetragen.
Die Fachstelle politische Bildung von Transfer für Bildung e.V. hat mit ihrer Expertise zum Abschlussbericht der Enquetekommission des nordrhein-westfälischen Landtags, „Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive“ (2021), beigetragen. Neben der Beteiligung an einer Anhörung von Expert*innen und weiteren Fachgesprächen gingen Erkenntnisse aus der Arbeit der Fachstelle in den Problemaufriss und die Empfehlungen zum „Handlungsbereich Politische Bildung“ prominent ein.
Beiträge der Fachstelle politische Bildung zur NRW-Enquetekommission
Berichte wie die der NRW-Enquetekommission sind zugleich Verstärker und Wegweiser für die politische Bildungsarbeit. Für die Fachstelle politische Bildung ist es daher Auszeichnung und Motivation, dass zentrale Erkenntnisse ihrer Arbeit in den Bericht eingegangen sind.
Helle Becker, Geschäftsführerin von Transfer für Bildung e.V., nahm als externe Sachverständige am Round Table „Politische Bildung“ teil und gab einen Einstiegsimpuls (September 2019, Düsseldorf). Expert*innen aus Wissenschaft, Vereinen, Verbänden, Bildungsstätten und Stiftungen debattierten dort aus unterschiedlichen Perspektiven entlang der Leitfrage „Wie kann Nordrhein-Westfalen durch Bildungs- und Weiterbildungspolitik die Partizipation seiner Bürgerinnen und Bürger stärken und ein Bewusstsein für demokratische Strukturen schaffen?“
Mehr forschen, vernetzen, qualifizieren: Positionen der Fachstelle im Bericht der Enquetekommission
Im Problemaufriss zum Handlungsbereich „Politische Bildung“ zitiert der Kommissionsbericht eine Studie der Fachstelle, in der auf die Problematik hingewiesen wird, angesichts angenommener gesellschaftlicher Spaltungen „Gegenmaßnahmen mit Hilfe politischer Bildungsangebote“ (S. 48) zu ergreifen, die lediglich wie ‚Feuerwehrtöpfe'“ (S. 48) wirken und zu denen es zudem „kaum gesicherte Erkenntnisse über die Nachhaltigkeit der Projektförderung“ (S. 48) gibt.
Den Hinweis, „dass es die [Hervorhebung TfB] politische Bildung nicht gibt“ (S. 48), illustriert und beschreibt der Bericht anhand der Grafik Topografie der Praxis politischer Bildung der Fachstelle (S. 49). Nachfolgend zitiert er die Auswertung der systematisch abgebildeten Vielfalt durch die Fachstelle: „Dieser Befund erweist sich als Stärke und Schwäche zugleich: während für außerschulische Bildungsangebote eine Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Partnern bereitstehen und diverse Zielgruppen erreicht werden können, mangelt es an wechselseitigem Austausch, Instrumenten der Qualitätssicherung, Wissenstransfer sowie angesichts fehlender Ausbildungsgänge für die außerschulische politische Weiter- und Erwachsenenbildung an einer entsprechenden Professionalisierung. Eine vielfältige Praxis steht einer kaum ausgeprägten (auch wissenschaftlichen) Reflexion und Evaluation gegenüber“ (S. 49f.).
Die Enquetekommission teilt die Diagnose der Fachstelle: „Auch zeigt sich ein Mangel aussagekräftiger Wirkungsforschung, mit deren Hilfe die Effekte politischer Bildungsinterventionen gemessen werden können. Insgesamt zeigt sich ein zersplittertes Praxis- und Forschungsfeld, in dem wechselseitige Lerneffekte bislang eher begrenzt sind“ (S. 50). In ihren Handlungsempfehlungen spricht sie sich dementsprechend für eine Ausweitung der wissenschaftlichen Forschung und der Vernetzung der Erkenntnisse zu den – schulischen und außerschulischen – Aktivitäten, einschließlich Begleitforschung zu Projektförderungen, im Feld der politischen Bildung (S. 59f.) aus. Dazu sollten unter anderem Ressourcen zur Einrichtung zusätzlicher Professuren bereitgestellt werden und „Ausbildungsgänge wie z. B. Masterstudiengänge ‚Politische Bildung in der Sozialen Arbeit‘ oder ‚Politische Erwachsenenbildung‘ initiiert werden“ (S. 60). Auch zur Qualifizierung von Lehrkräften, Pädagog*innen und Erwachsenen sollten die Kapazitäten für Weiterbildungsangebote an den Universitäten erhöht werden (S. 59).
Um die Frage zu klären, ob und wie politische Bildung wirkt, wünscht sich die Enquetekommission „ein Landesprogramm zur Finanzierung einer übergreifenden Forschung zu demokratiestärkenden und -schützenden Strategien, insbesondere im Bereich der Demokratiepolitik, der Demokratiebildung und der Stärkung demokratischer Kommunikationsräume und Strukturen in relevanten Disziplinen, wie z. B. Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Bildungswissenschaften oder Sozialer Arbeit“ (S. 60).
Schon 2017 beschrieb die damalige Transferstelle: „Trotz zahlreicher Kooperationen mit Trägern und Formaten der außerschulischen politischen Bildung zeichnet sich die politische Bildung in Schulen durch sehr spezifische Charakteristika aus“ (S. 51). Die Enquetekommission geht in diesem Kontext auf mehrere Unzulänglichkeiten und Desiderate ein. So empfiehlt sie etwa „bei einer anstehenden Überarbeitung der Kernlehrpläne die politische Bildung für alle Schulformen zu stärken“ (S. 53) und dabei auch „zu prüfen, ob und wie kommunalpolitische Themen noch stärker als bisher in allen Schulformen verankert werden können“ (S. 55) sowie ein „kommunalpolitisches Praktikum für Schülerinnen und Schüler flächendeckend einzuführen“ (S. 55). „Die Ausgestaltung der schulischen politischen Bildung soll verbessert werden“ (S. 56), empfiehlt die Kommission weiter, und zwar garantiert durch fachwissenschaftlich und fachdidaktisch ausgebildete Lehrkräfte sowie durch flächendeckend fachspezifisch fortgebildete fachfremd unterrichtende Lehrkräfte (S. 56).
Die Kommission fordert außerdem „über anerkannte Träger der Kinder- und Jugendhilfe eine Handreichung zur Demokratiebildung zu entwickeln“ (S. 54). Träger und Angebote in der außerschulischen politischen Bildung sind zahlreich und „in der aktuellen Zeit eine entscheidende Säule unserer Demokratie“. Träger der schulischen und außerschulischen politischen Bildung müssten ihre jeweilige Arbeit deshalb besser kennenlernen und sich stärker und nachhaltiger vernetzen (S. 60).
Der für den Einsatz in der außerschulischen politischen Bildung an Volkshochschulen von Helle Becker entwickelte „Demokratieführerschein“ wird „als gutes Instrument der politischen Bildung, um Jugendliche für Politik und die Demokratie zu begeistern“ (S. 58) gelobt. „Die Enquetekommission empfiehlt, das Angebot ‚Demokratieführerschein‘ auf weitere Volkshochschulen auszuweiten“ (S. 58).
Politische Bildung durch Kommunikation und Synergien stärken
Ziel eines neuen Projekts der Transferstelle politische Bildung von Transfer für Bildung (TfB) e.V. ist es, Stärken und Potenziale der Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) und der politischen Jugendbildung in Nordrhein-Westfalen zusammenzubringen. Durch OPEN – Offene Jugendarbeit und politische Bildung gemeinsam engagiert sollen langfristige, strukturelle Partnerschaften zwischen OKJA und politische Jugendbildung angeregt und begleitet werden. Teilnehmen werden (auch) Jugendliche, die als bildungsfern und politisch desinteressiert gelten und Angebote der politischen Bildung bislang nicht wahrnehmen.
Das Konzept des Projekts ist mit den Handlungsempfehlungen des Kommissionsberichts für den außerschulischen Bereich unmittelbar anschlussfähig, denn empfohlen wird „die Prüfung, wie der Kinder- und Jugendförderplan noch professioneller im Hinblick auf eine Erweiterung der potentiellen Zielgruppen und Zwecke sowie einer breiteren Öffentlichkeitswirkung ausgestaltet werden kann“ (S. 57f.). Der Bericht konstatiert ferner: „Elemente der politischen Bildung sollten auch die Menschen ansprechen, die bisher nicht von klassischen Angeboten der historisch-politischen Bildung erreicht wurden“ (S. 58). Er „empfiehlt deshalb die strukturelle Stärkung von aufsuchenden politischen Bildungsprojekten der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen und den anerkannten Trägern der politischen Bildung in Nordrhein-Westfalen sowie von Multiplikatoren, zivilgesellschaftlichen Akteuren, Unternehmen und Verbänden“ (S. 58) und darüber hinaus „eine Struktur und Förderung für die Umsetzung politischer Bildung im Rahmen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit zu schaffen, um auch nichtorganisierte Jugendliche zu erreichen und sie für ‚peer-to-peer‘-Projekte zu qualifizieren“ (S. 58).
Die Transferstelle politische Bildung ist im Jugend- und Bildungsbereich in NRW und auf Bundesebene gut vernetzt und wird wichtige Multiplikator*innen und Entscheidungsträger*innen in das Projekt OPEN einbeziehen, die die Ergebnisse des Projekts reflektieren, sie verbreiten und eine Weiterentwicklung fördern können. Die Ergebnisse des Projekts können Impulse für die Fachöffentlichkeit liefern, zur Qualifizierung der Akteur*innen beitragen und die politische Bildung/Demokratiebildung in der Kinder- und Jugendarbeit insgesamt stärken. Durch die Reichweite des Berichts der Enquetekommission können diese Effekte zusätzlich verstärkt werden.
Entsprechend ihrem Selbstverständnis und ihrem Arbeitsauftrag wird die Fachstelle politische Bildung die Erkenntnisse der NRW-Enquetekommission durch Berichterstattung, auch mithilfe der Reichweite ihrer (digitalen) Kanäle und Netzwerke, sowie die Teilnahme am Fachaustausch verbreiten. Damit unterstützen wir die Weiterentwicklung der politischen Bildungspraxis in Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.
Abschlussbericht der NRW-Enquetekommission (Mai 2021)
Unter dem Titel „Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive“ hat die Enquetekommission im Mai 2021 nach einem zweieinhalbjährigen Arbeitsprozess ihre Ergebnisse vorgelegt.
Themen wie die Veränderung politischer Legitimation, die Stärkung des Parlamentarismus, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, sowie die Partizipation der Bürger*innen an politischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung waren Anlass und Hintergrund für die Aufgabenstellung der Enquetekommission. Sie untergliedert sich in sechs sogenannte Handlungsbereiche: (1) Politische Bildung, (2) Partizipation, (3) Digitales, Medien und Zivilgesellschaft, (4) Kommunalpolitisches Ehrenamt, (5) Kompetenzverteilung im Mehrebenensystem, (6) Finanzautonomie und Finanzausstattung. Zu jedem Bereich wird ein Problemaufriss, gefolgt von Handlungsempfehlungen, gegeben.
In seinem Vorwort zum Abschlussbericht hebt der Landtagspräsident unter anderem die Bedeutung politischer Bildung hervor: „Mit knapp 100 Handlungsempfehlungen eröffnet die Enquetekommission Perspektiven für die Gestaltung der komplexen Mitsteuerungsprozesse zwischen Bund und Ländern, für die Stärkung der Möglichkeiten der politischen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, für die Förderung demokratischer Grundhaltungen durch politische Bildung sowie für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das kommunalpolitische Ehrenamt und die Attraktivitätssteigerung des Mandats. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf der Förderung von jungen Menschen gelegt.“
Veröffentlicht am 01.07.2021
Zum Weiterlesen
- Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive (Abschlussbericht der Enquetekommission, Mai 2021); ein Sammelband mit Expert*innenbeiträgen, Gutachten und weiteren Materialien ist in Vorbereitung [pdf | 6,5 MB]
- Topografie der Praxis politischer Bildung mehr lesen
- OPEN – Offene Jugendarbeit und politische Bildung gemeinsam engagiert (Projekt der Transferstelle politische Bildung von Transfer für Bildung (TfB) e.V., gefördert von der Stiftung Mercator GmbH) mehr lesen
- Becker, Helle / Brosi, Annabell / Klink, Marita (2019): Forschung und Praxis politischer Bildung in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der politischen Erwachsenenbildung. Hg. v. Transfer für Bildung e.V. Essen mehr lesen
- Transferstelle politische Bildung (2017): Gemeinsam stärker!? Kooperationen zwischen außerschulischer politischer Bildung und Schule. Essen mehr lesen