Bericht zur Fachtagung „Das Politische in ‚unpolitischen‘ Disziplinen“

Vom 30. September bis 1. Oktober 2019 fand im Haus am Maiberg in Heppenheim die Fachtagung „Das Politische in ‚unpolitischen‘ Disziplinen“ statt. Die Fachstelle politische Bildung beteiligte sich am fachlichen Austausch und der Diskussion über das Politische sowie über Politisierung und Entpolitisierung in der politischen Bildung. Zur Fachtagung eingeladen hatte das Haus am Maiberg, die Deutsche Vereinigung für politische Bildung (DVPB) und die Heidelberg School of Education.


Foto: Fotostudio Heupel

Foto: Fotostudio Heupel

Vom 30. September bis 1. Oktober 2019 fand im Haus am Maiberg in Heppenheim die Fachtagung „Das Politische in ‚unpolitischen‘ Disziplinen“ statt. Die Fachstelle politische Bildung beteiligte sich am fachlichen Austausch und der Diskussion über das Politische sowie über Politisierung und Entpolitisierung in der politischen Bildung. Zur Fachtagung eingeladen hatte das Haus am Maiberg, die Deutsche Vereinigung für politische Bildung (DVPB) und die Heidelberg School of Education.

Hintergrund der Tagung

Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse und Konflikte sorgen Themen wie Klimaschutz, Erstarkung des Rechtspopulismus, Migration oder soziale Gerechtigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und darüber hinaus für breite politische Diskussionen und Aktionismus.

Gleichzeitig gibt es in Deutschland Tendenzen der Entpolitisierung, zum Beispiel im Bildungsalltag. So sind beispielsweise viele Lehrer_innen aufgrund der denunziatorischen Meldeportale der AfD verunsichert und vermeiden zunehmend politisch kontroverse Themen im Unterricht.

Vor diesem Hintergrund wurde in der Tagung über Phänomene der Politisierung und Entpolitisierung und deren Bedeutung für die politische Bildung diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und über das Politische in auf den ersten Blick unpolitischen Disziplinen wie Naturwissenschaften oder Religion debattiert.

Diskutierte Themen

Wie lässt sich das Politische bestimmen? Prof. Alexander Wohnig von der Universität Siegen benannte in seinem Vortrag den Konflikt als Ausgangspunkt des Politischen – und damit auch von politischer Bildung. Nur durch die kritische Analyse und das Aushandeln von Konflikten eröffneten sich Möglichkeiten für Mitbestimmung und Veränderung, so seine Position. Gleichzeitig sei eine Entpolitisierung von Theorie und Praxis politischer Bildung zu erkennen, etwa durch eine Individualisierung von (politischen) Themen. Als Beispiel wurde das ehrenamtliche Engagement von Schüler_innen diskutiert, das, oftmals unter dem Label der politischen Bildung, im Rahmen von Projektwochen oder Sozialpraktika stattfindet. Zur Entpolitisierung trage die fehlende kritische Reflexion des Engagements hinsichtlich seiner strukturellen und politischen Faktoren, beispielsweise prekärer Arbeitsbedingungen oder sozialstaatlicher Entwicklungen, bei. Gleichzeitig werde Kindern und Jugendlichen der Eindruck vermittelt, sie könnten durch soziales Engagement gesellschaftliche Missstände individuell auffangen; die politische Verantwortung des Staates werde damit ausgeklammert.

Stefan Schäfer von der TH Köln thematisierte die Politikimmanenz der Internationalen Jugendarbeit. Diese ergebe sich zum einen durch die Einbettung der Internationalen Jugendarbeit in politische Strukturen und zum anderen dadurch, dass sie selbst politische Bildungs- und Handlungsspielräume entfalte. Er kritisierte, dass sich pädagogische Fachkräfte meistens nicht als politische Akteur_innen begreifen und deshalb nur unbewusst politisch handeln. Einen Grund dafür sieht er in den pädagogischen Konzepten von Jugendarbeit oder Sozialer Arbeit, in denen das Politische weitestgehend ausgeklammert werde.

Die MINT-Fächer werden im Kontext politischer Bildung zumeist nicht thematisiert. Um den Blick auf das Politische in diesen Disziplinen zu lenken, stellte der Chemielehrer Thomas Schneidermeier das Projekt „Schule 3.0 – Chemie“ des Zentrums für Chemie (ZFC) vor. In dem Projekt geht es unter anderem darum, Schüler_innen in die Lage zu versetzen, politisch relevante Themen wie Klimawandel, Energiewende oder das Pariser Klimaabkommen unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachten und bewerten zu können. Schneidermeier plädierte dafür, die MINT-Fächer umzustrukturieren und den gesellschaftlichen und politischen Kontext einzubeziehen.

 

Anmerkungen der Fachstelle politische Bildung

 Das Nachdenken über „Das Politische in ‚unpolitischen‘ Disziplinen“ führt zur Frage, ob bestimmte Disziplinen tatsächlich unpolitisch sind. Sind nicht alle wissenschaftlichen Disziplinen oder schulischen Fächer grundsätzlich politisch, sofern man ihren gesellschaftlichen und politischen Kern erkennt, formuliert und reflektiert?

In den Vorträgen und Diskussionen der Fachtagung wurde vor allem die schulische politische Bildung betrachtet. Aus schulischer Perspektive wird aktuell darüber nachgedacht, wie sich das Politische in allen Fächern ausmachen und berücksichtigen lässt. Während Schule durch Curricula und Fächeraufteilung gekennzeichnet ist und Bildungsthemen damit vorgibt, orientiert sich die Jugendarbeit an den Interessen und Themen der Teilnehmenden. Für diese kann (fast) jedes Thema, jede Angelegenheit politisch relevant sein oder werden. In der Jugendarbeit oder Sozialen Arbeit wird darüber hinaus der Frage nachgegangen, inwiefern die Disziplinen und Praxisfelder selbst Teil des politischen Systems sind und sich daher als politische Akteur_innen begreifen sollten.

Während der Fachtagung wurde erneut deutlich: Kommen Akteur_innen verschiedener Praxisfelder der politischen Bildung ins Gespräch, sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Schwerpunkte ihrer jeweiligen Bildungsarbeit nicht von vorneherein für alle ersichtlich und sollten jeweils explizit gemacht werden. Die Debatte um Politisierung und Entpolitisierung sowie die Frage nach dem Politischen spiegeln zudem die Dringlichkeit wider, sich einander zuzuwenden und interdisziplinär – sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf praktischer Ebene – zusammenzuarbeiten. Eine fruchtbare Kooperation verschiedener Disziplinen und Praxisfelder kann helfen, politische Bildungskonzepte zu schärfen und Praktiker_innen in ihrer Rolle als politische Bildner_innen zu stärken.

Für einen solchen Austausch und eine wirksame Zusammenarbeit hat die Fachstelle politische Bildung Tools wie die Landkarte der Forschung zur politischen Bildung oder die Topografie der Praxis politischer Bildung entwickelt. In Fachforen der Fachstelle politische Bildung wird ein systematischer Austausch von Akteuren aus unterschiedlichen Wissenschafts- und Praxisbereichen organisiert sowie gemeinsame Vorhaben angeregt und entwickelt.

Am 20. September 2019 fand ein Fachforum zum Thema „Politische Bildung und Jugendarbeit“ in Berlin statt. Auf Grundlage des Protokolls und der im Fachforum diskutierten Themen wird die Fachstelle politische Bildung in Kürze ein Diskussionspapier veröffentlichen. Einen ersten Bericht finden Sie hier.



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