„Was ist Jugendarbeit?“ Kolloquium der Jugendarbeitsforschung und -theorie (2019)

Auch 2019 trafen sich wie alljährlich Forscher_innen und Expert_innen der Jugendarbeit im LWL-Bildungszentrum Jugendhof Vlotho, um aktuelle Forschungsprojekte vorzustellen und zu diskutieren. Die Fachstelle politische Bildung war dabei und stellte die „Landkarte der Forschung zur politischen Bildung“ und die „Topografie der Praxis politischer Bildung“ vor.


Dr.in Helle Becker und Prof.in Regina Münderlein

Dr.in Helle Becker und Prof.in Regina Münderlein

Auch 2019 trafen sich wie alljährlich Forscher_innen und Expert_innen der Jugendarbeit im LWL-Bildungszentrum Jugendhof Vlotho, um aktuelle Forschungsprojekte vorzustellen und zu diskutieren. Die Fachstelle politische Bildung war dabei und stellte die „Landkarte der Forschung zur politischen Bildung“ und die „Topografie der Praxis politischer Bildung“ vor.

Systematisierung bestehenden empirischen Wissens

In diesem Jahr gab es einige Projekte, mit denen der Wissenschaftsbezug und damit Qualifizierung und öffentliche Wahrnehmung der Jugendarbeit gestärkt werden sollen.

So stellte Prof.in Regina Münderlein, Hochschule Kempten, unter der Schlagzeile „Jugendarbeit aufräumen?!“ Ideen zu einem Forschungsprojekt zur Diskussion, das vorhandenes empirisches Wissen zur Offenen Jugendarbeit kritisch systematisieren will. Aufgrund des aktuell zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Interesses am Thema Jugend gibt es erhöhten Bedarf, Angebotsprofile der Offenen Jugendarbeit zu schärfen, Qualifikationen und Fachlichkeit weiterzuentwickeln sowie zu politischer Steuerung und (Jugendhilfe-)Planung zu beraten. Dazu soll das Projekt beitragen, indem es unter anderem Forschungskriterien und -ergebnisse kritisch prüft und Forschungslücken identifiziert. Die Befunde des Projekts sollen lehr- und lernorientiert sowie vor allem nutzer_innenfreundlich (grafisch unterstützt) und rezeptionsadäquat dargestellt werden.

 

Präsentation der „Landkarte der Forschung zur politischen Bildung“ und der „Topografie der Praxis politischer Bildung“

Dr.in Helle Becker, Transfer für Bildung e.V., Leiterin der Fachstelle politische Bildung, gab einen kurzen Überblick über die Angebote der Fachstelle politische Bildung, unter anderem die „Landkarte der Forschung zur politischen Bildung“. Die Landkarte verzeichnet geografisch die Wissenschaftler_innen und Forschungseinrichtungen, die politische Bildung zum Forschungs- und Lehrgegenstand haben, und beschreibt deren disziplinäre Ausrichtung und Forschungsschwerpunkte. Mit der Präsentation eines weiteren Projekts, der „Topografie der Praxis politischer Bildung“, erläuterte sie das Anliegen der Fachstelle, Praxisbereiche politischer Bildung – also auch die Jugendarbeit – mit ihren zugehörigen Konzepten, Rechts-, Politik- und Wissenschaftsbezügen strukturiert darzustellen. Damit sollen Systemrationalitäten und institutionelle Bedingungen politischer Bildung deutlich werden. Die Topografie soll eine Orientierung bieten, um fachliche Konzepte, Bedingungen sowie gemeinsame Themen und Zielgruppen in ihrer Differenziertheit und Vielfalt wahrzunehmen, Schnittstellen zu identifizieren und durch Austausch für mögliche Kooperationen nutzbar zu machen. In der anschließenden Diskussion wurden die positive Bedeutung eines solchen Vorhabens für den fachlichen Austausch im Allgemeinen sowie die praktische Verwertbarkeit und die Aufhebung von Abgrenzungen im Besonderen hervorgehoben.

Katja Müller, zuständig für Fachberatung und Fortbildung der Kinder- und Jugendarbeit beim LWL-Landesjugendamt Westfalen-Lippe, berichtete von einem Vernetzungstreffen mit Hochschulen, bei dem Perspektiven für die Ausbildung und Qualifizierung von Fachpersonal für Träger und Einrichtungen der Jugendarbeit entwickelt wurden.

Gemeinsamer demokratischer Bildungsauftrag von Jugendverbänden und Offene Kinder- und Jugendarbeit?

Prof.in Elisabeth Richter und Prof.in Wiebke Riekmann, Medicalschool Hamburg, gingen in ihrem Beitrag der Frage nach: „Jugendverbände und Offene Kinder- und Jugendarbeit: gemeinsamer demokratischer Bildungsauftrag?“. Die Forscherinnen hoben unter anderem hervor, dass Partizipation nicht unter Altersvorbehalt stehen dürfe, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat Betroffenheit – auch für Kinder und Jugendliche – Kriterium der Beteiligung sei. Kennzeichen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) seien demokratische Partizipation sowie Dialog und Diskurs zur wechselseitigen Überprüfung von Argumenten, um zu Entscheidungen zu gelangen. In diesem Sinne setzten Einrichtungen den Bildungsauftrag zur Demokratie nicht ausreichend konsequent um. Diskutiert wurde unter anderem die Schwierigkeit, eine Demokratisierung der Einrichtungen angesichts wechselnder Besucher_innen umzusetzen.

Darüber hinaus stellten zwei Vertreter_innen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) ihre aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten vor. Dr. Eric van Santen referierte über „ Freiwilliges Engagement in der OKJA. Schattenseiten eins weitverbreiteten Phänomens. Ursachen, Folgen und Handlungsbedarf“. Dr.in Liane Pluto stellte empirische Befunde zu Merkmalen und Selbstverständnis selbstverwalteter Jugendzentren vor.

Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker verlas, stellvertretend für die verhinderte Dr.in Ulrike Graff, Universität Bielefeld, einen Beitrag zum Thema „Ethnographie genderpädagogischer Angebote der Jugendarbeit – Praxistheoretische Annäherungen an Bildungsqualitäten. Analyse einer Szene aus der Feldforschung“. In der Diskussion ging es unter anderen um die Frage, inwieweit ethnografische Analysen für pädagogische Situationen geeignet sind.

Zu guter Letzt stellten Jennifer Buchna und Moritz Schumacher von der Universität Siegen das qualitative Forschungsprojekt „Junge Geflüchtete in den Angeboten der Jugendarbeit“ vor. Ausgangfragen des Vorhabens waren, welche lebensweltliche Bedeutung (Offene) Jugendarbeit für Geflüchtete hat und welche Sicht die Fachkräfte auf die Situation junger Geflüchteter in den Angeboten der Offenen Jugendarbeit haben. Während die Jugendlichen in den Angeboten häufig einen „Möglichkeitsraum“ sahen, in dem man Freund_innen finden, die Freizeit gestalten, die deutsche Sprache lernen, sich Rat holen (etwa bei behördlichen Fragen) und einfach der (ländlichen) Langeweile entkommen kann, standen bei den Fachkräften die Herausforderungen im Umgang mit jungen Geflüchteten, Kulturalisierungen in Bezug auf Geschlechterrollen sowie sprachliche Barrieren, im Vordergrund. Der kulturalisierenden, defizitorientierten Sichtweise der Fachkräfte standen wenige bis keine (Selbst-)Kulturalisierungen der Jugendlichen gegenüber.

Wie jedes Jahr brachten die beiden Tage interessante Einblicke in aktuelle Forschungsanliegen, boten willkommene Gelegenheiten, Fachgespräche – auch zur politischen Bildung und Demokratiebildung in der Jugendarbeit – zu führen und gemeinsame Anliegen zu vernetzen.



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