Politische Bildung beim 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag
Wir waren auf dem 16. DJHT unterwegs und wollten wissen, wie präsent die politische Bildung dort war, welche Themen diskutiert wurden und welchen Eindruck die Vertreter_innen der politischen Bildung selbst hatten. Es zeigte sich, dass die Themen insgesamt sehr politisch waren und politische Bildung in vielfacher Weise sichtbar wurde.
Demokratie, Partizipation, digitale Gesellschaft, Ganztag: Politische Bildung beim 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag
„22 Mio. Junge Chancen – gemeinsam.gesellschaft.gerecht.gestalten“ – das war das Motto des Deutschen Kinder- und Jugendhilfetags (DJHT) 2017. Die Arbeitsgemeinschaft Kinder und Jugendhilfe (AGJ) hatte zum 16. Mal die Kinder- und Jugendhilfe zu Europas größter Fachmesse und -konferenz in diesem Bereich eingeladen. An über 250 Messeständen präsentierten sich vom 28. bis 30. März 2017 mehr als 380 Aussteller_innen im Congress Centre Düsseldorf (CCD). Darüber hinaus gab es eine Vielzahl von Fachveranstaltungen. Wir wollten wissen, wie präsent die politische Bildung beim DJHT war, welche Themen dort diskutiert wurden und welchen Eindruck die Vertreter_innen der politischen Bildung selbst hatten.
Das Ergebnis: Auf dem DJHT spiegelte sich ein breitgefächertes Bild der politischen Bildungslandschaft wieder. Eine Vielzahl von Verbänden, Vereinen, Projekten und Initiativen war vertreten, für die politische Bildung zum Teil Hauptgeschäft oder ein Arbeitsfeld neben anderen ist. An Messeständen, auf Aktionsflächen, mit Fachforen, Workshops, Umfragen und weiteren Aktionen boten sie viele Möglichkeiten für Austausch und Diskussionen.
Die Themen des DJHT waren insgesamt sehr politisch, was das diesjährige Motto des DJHT bereits erwarten ließ. Bundesjugendministerin Manuela Schwesig eröffnete die Fachmesse mit einer klaren politischen Forderung: Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Das Thema „Kinder und politische Bildung“ war Gegenstand verschiedener Fachveranstaltungen. Häufig diskutiert wurde über das Thema Partizipation sowie Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Zu beobachten war, dass die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen auch eine stärkere Politisierung der Jugendverbände provozieren. Themen wie Rassismus, Populismus und Flucht spielen hierbei eine Rolle. Ebenso tauchten Wahlen, Türkei, Digitalisierung und internationale Jugendarbeit als Themen an verschiedenen Stellen immer wieder auf. Eine große Nachfrage gab es an Praxismaterialien, Methoden und Best-Practice-Beispielen.
GEMINI – Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung
Die politische Jugendbildung wurde u. a. durch die Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung im Bundesausschuss Politische Bildung (GEMINI) und ihre Mitglieder vertreten, die mit einem Stand und einem Fachforum zum Thema „Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten. Impulse für die politische Jugendbildung und eine jugendgerechte Netzpolitik“ präsent waren. Die GEMINI setzt sich aus der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (AKSB), dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. (AdB), dem Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN (AL), dem Deutschen Volkshochschul-Verband e.V. (DVV), der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (ET) und dem Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR) zusammen.
Projekte und Formate zum Thema digitale politische Jugendbildung
Einzelne Einrichtungen und Bildungsstätten, der in der GEMINI vertretenen Verbände, wie zum Beispiel die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein oder die Evangelische Akademie Wittenberg, stellten am GEMINI-Stand und im Fachforum von AdB und GEMINI ihre Projekte und Formate zum Thema digitale politische Jugendbildung vor. Arbeit und Leben DGB/VHS NW, die Weiterbildungseinrichtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Volkshochschulen in Nordrhein-Westfalen, stellte ein Projekt vor, das in Kooperation mit dem Chaos Computer Club Düsseldorf durchgeführt wurde. Darüber hinaus forderte AL NRW gemeinsam mit Vertreter_innen des Chaos Computer Clubs Düsseldorf die Besucher_innen mit einer „Crypto-Party: Sicher im Netz“ am GEMINI-Stand direkt zum Mitmachen auf.
Im Fachforum „Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten. Impulse für die politische Jugendbildung und eine jugendgerechte Netzpolitik“ vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. und GEMINI diskutierten Expert_innen aus Wissenschaft und Praxis darüber, wie eine zeitgemäße politische Jugendbildung mit digitalen Medien aussehen kann.
Umfrage „Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten“
Präsentiert wurden auch die Ergebnisse einer digitalen Umfrage, die am Messestand der GEMINI zum Thema „Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten“ während des DJHT durchgeführt worden war. Insgesamt hatten 123 Personen teilgenommen, 23 Prozent davon waren zwischen 18 und 27 Jahren alt. Die Umfrageergebnisse machten deutlich, dass bei den Befragten beim Thema Digitalisierung die Chancen und Hoffnungen gegenüber praktischen Erfahrungen überwiegen. Bei den Antworten auf die Frage, was es heißt, die Digitalisierung jugendgerecht zu gestalten, wurden zwei Bereiche besonders häufig ausgewählt: Themen im Bereich Jugendmedienschutz (z. B. Jugendliche vor Gefahren wie Cyberbulling und Sexting schützen 78,5 Prozent Zustimmung) und das Thema Teilhabegerechtigkeit (z. B. offene Bildungsressourcen: 75,6 Prozent, kostenloses Internet für alle 52 Prozent Zustimmung). Neben der Aufklärung von Jugendlichen und der Stärkung einer (kritischen) Medienkompetenz war es den Befragten auch wichtig, dass Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden. Circa 40 Prozent befürworteten eine Reformation des Urheberrechts. Auf die Frage, welche Themen die politische Bildung im Kontext von Digitalisierung unbedingt aufgreifen sollte, wurden v.a. Teilhabe(gerechtigkeit), (kritische) Medienkompetenz, Datensicherheit; Gestaltung des Miteinanders und der eigenen Identität im Netz genannt.
Anknüpfend an diese Ergebnisse wurde im Fachforum die Frage diskutiert, wie eine Gesellschaft gestaltet werden kann, in der Jugendliche digitale Medien kreativ nutzen und gleichzeitig Jugendmedienschutz und informationelle Selbstbestimmung gewährleistet werden können.
Was gab es noch an politischer Bildung auf dem DJHT?
Einrichtungen und Bildungsstätten der in der GEMINI vertretenen Verbände präsentierten ihre Arbeit nicht nur am Stand und im Fachforum, sondern waren auch an anderen Stellen der Fachmesse zu finden. Beispielsweise war das aktuelle forum e.V. auf der Aktionsfläche NRW mit einem Stand präsent. Die Vertreter_innen dieses Vereins der politischen Bildung teilten die Erfahrungen ihrer Arbeit außerdem in eigenen Veranstaltungen zu den Themen „Formate und Methoden der außerschulischen politischen Jugendarbeit“ und „Internationale Jugendarbeit“. Insbesondere an letzterem Thema gab es großes Interesse. (Interviews und einen Datenbankeintrag zu einem dieser internationalen Projekte, das auch wissenschaftlich begleitet wurde, finden Sie auf unserer Webseite). Weitere AdB-Mitglieder, wie das Bildungswerk des Instituts für angewandte Kommunikationsforschung in der Außerschulischen Bildung (IKAB), das Jugendbildungszentrum Blossin oder das Salvador Allende Haus präsentierten ihre Arbeit an verschiedenen Gemeinschaftsständen.
Außerdem waren der Deutsche Bundesjugendring und eine Vielzahl von einzelnen Jugendverbänden vor Ort. Von diesen waren u. a. verschiedene Landesjugendringe, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der Bund Deutscher PfadfinderInnen e.V. (BDP) oder die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken mit eigenen Messeständen oder Fachveranstaltungen vertreten.
Der Bayerische Jugendring stellte in Kooperation mit dem Kreisjugendring München und dem Stadtjugendamt München ein Projekt zur Jugendbeteiligung vor. Das Jugendamt der Stadt München hat mit Trägern der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zwei Jugendbefragungen durchgeführt, die als Beteiligungsinstrument konzipiert wurden. So wurden Jugendliche und junge Erwachsene nicht nur befragt, sondern zugleich an Konzeption-, Aus- und Bewertung beteiligt. Die Ergebnisse fließen direkt in die Politik ein. Für die Forschung und Praxis politischer Bildung lieferte die Befragung interessante Einsichten in die Möglichkeit, eine Befragung als Partizipationsmethode zu nutzen.
Auch die Gewerkschaften wie Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) waren mit eigenen Ständen beim DJHT vertreten, ebenso Stiftungen wie die Antonio Amadeu Stiftung oder die Bertelsmann Stiftung. Auf der Aktionsfläche NRW stellte außerdem die Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung NRW ihre Arbeit vor, auch verschiedene Jugendämter, Einrichtungen der Mädchen- und Jungenarbeit, die Koordinierungsstelle „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“, verschiedene Wohlfahrtsverbände, das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) und viele mehr waren beim 16. DJHT vertreten und machten ein vielfältiges Bild der Kinder und Jugendhilfe sowie der politischen Bildung sichtbar.
Politische Bildung auch für Kinder!
Das Thema „Kinder und politische Bildung“ stand bei verschiedenen Fachveranstaltungen im Mittelpunkt. Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. zeigte in seinem Workshop zum Thema „Lernen Kinder Demokratie? Kinder machen Demokratie!“ das und warum politische Bildung schon mit Kindern gelingt. Es wurden Beispiele aus der Praxis präsentiert und gemeinsam kreative Methoden ausprobiert.
In einem Fachforum des Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW und der Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung NRW diskutierten Prof. Dr. Ulrich Deinet, Prof. Dr. Reingard Knauer, Prof. Dr. Waldemar Stange und Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker als „Partizipatorisches Quartett“, wie Kinder und Jugendliche vor Ort wirksam beteiligt werden können. Außerdem wurden zwei Praxisbeispiele aus dem Bereich Jugendbeteiligung vorgestellt. Aus der Forschung wurde u. a. berichtet, dass das, was bisher oft unter Partizipation verstanden wird, nicht ausreicht oder eher „Almosen“ gleicht. Da es neben den eigenen Forschungsprojekten der Wissenschaftler_innen auf dem Podium insgesamt aber nur wenige Arbeiten gibt, wurde mehr empirische Forschung in diesem Bereich gefordert. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, wie sich die Kinder- und Jugendarbeit gegenüber Schule positioniert und inwiefern sie sich in Schulentwicklungsprozesse einmischen sollte. Einig war man sich, dass beim Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene angesetzt werden muss.
In einem weiteren Fachforum des Gesamtverbands des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands und des Paritätischen Landesverbands NRW standen in Fachvorträgen die Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation in Kindertageseinrichtungen im Mittelpunkt. Es wurde u. a. das Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“ vorgestellt, zu dem auch empirische Forschungserkenntnisse vorliegen.
„Flucht und Ausgrenzung“ als Thema für politische Bildung mit Kindern rückte die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken und die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein in den Fokus. Die Referent_innen stellten das Modellprojekt „Es ist deine Kampagne – (Inter)aktiv für eine lebendige Demokratie!“ vor. Darin wurde ein pädagogisches Konzept entwickelt, das mit einem menschenrechtsorientiertem Zugang die Verbindung zur Lebenswelt der Kinder schafft und damit Themen wie Flucht und Migration, Vielfalt und Ausgrenzung thematisiert. Die Veröffentlichung eines Handbuchs mit praxisbewährten Materialien und Methoden ist geplant.
„Ganztagsbildung: Gemeinsame Verantwortung von Kinder- und Jugendhilfe und Schule“
Anlässlich unseres aktuellen Jahresthemas „Gemeinsam stärker!? Kooperationen zwischen außerschulischer politischer Bildung und Schule“ haben wir uns auch zum Thema Kooperationen umgehört. Die in der AGJ vertretenen Obersten Jugend- und Familienbehörden der Länder hatten zu einem Fachforum eingeladen, in dem Vertreter_innen aus Forschung, Politik, Schule und Kinder- und Jugendhilfe darüber diskutierten, wie Kinder und Jugendliche in Schule beteiligt werden können und wie eine gelungene Kooperation von Schule und Jugendhilfe aussehen kann. Man war sich einig, dass Schule und Kinder- und Jugendhilfe sich auf Augenhöhe begegnen müssen. Prof. Dr. Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut forderte in seinem Einführungsvortrag die Kinder- und Jugendhilfe dazu auf, ihre Idee zur Ganztagsschulentwicklung beizutragen. In der weiteren Diskussion wurde festgehalten, dass sich Schule und Kinder- und Jugendhilfe auf unterschiedliche Bildungsverständnisse beziehen. Vertreter_innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bezweifelten, dass Grundprinzipien ihrer Arbeit wie Freiwilligkeit und Selbstbildung in der Schule umgesetzt werden können – insgesamt alles Aspekte, die uns im Rahmen unseres Jahresthemas beschäftigen werden.