„Wissenschaft kann die Praxis immer wieder mit kritischen Nachfragen konfrontieren.“ Fünf Fragen an Albert Scherr

Prof. Dr. Albert Scherr ist Direktor des Instituts für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. In einem Kurzinterview gibt er Einblicke in seine aktuellen Forschungsprojekte und welche Erkenntnisse für die Praxis politischer Bildung besonders relevant sind. Außerdem macht er deutlich, wie Wissenschaft politische Bildungspraxis unterstützen kann.


Prof. Albert Scherr (Foto: privat)

Prof. Albert Scherr (Foto: privat)

Prof. Dr. Albert Scherr ist Direktor des Instituts für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. In einem Kurzinterview gibt er Einblicke in seine aktuellen Forschungsprojekte und welche Erkenntnisse für die Praxis politischer Bildung besonders relevant sind. Außerdem macht er deutlich, wie Wissenschaft politische Bildungspraxis unterstützen kann.


1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Meine neueren Forschungsprojekte befassen sich zum einen mit den Ursachen und Folgen von Diskriminierung. Zuletzt lag der Schwerpunkt dabei auf der subjektiven Bedeutung von Diskriminierungserfahrungen. Zum anderen habe ich mich intensiv mit der internationalen Flucht- und Flüchtlingsforschung befasst, sowohl mit den soziologischen Analysen als auch den moralphilosophischen Debatten. In diesem Bereich habe ich auch eigene empirische Projekte durchgeführt.


2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse halten Sie für besonders relevant für die Praxis politischer Bildung?

Dazu gehört für mich vor allem die Entwicklung eines Verständnisses von politischer Bildung als subjektorientierter, dialogischer Prozess und dessen Konkretisierung, etwa bezogen auf die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus. Ferner zähle ich dazu Analysen von Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, in denen deutlich wird, dass es um soziale Verhältnisse geht, nicht nur um Vorurteile, sowie die Kritik an einem naiven Inter- und Multikulturalismus in Verbindung mit der Forderung nach einer menschenrechtlichen Fundierung politischer Bildung.


3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Zu den Potenzialen, die politische Bildung im Alltagsbewusstsein, in den Erfahrungen und in den humanistischen Motiven ihrer Adressat_innen vorfindet, sollte mehr geforscht werden. Denn sinnvollerweise kann politische Bildung nicht als Belehrung unwissender und moralisch verwerflicher Subjekte konzipiert werden. Dringend erforderlich ist zudem eine Weiterentwicklung qualitativer, sinnverstehender Forschung dazu, was den Affinitäten zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zugrunde liegt.


4. Welchen Gewinn für die politische Bildung kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis sowie ein Austausch sowohl zwischen den Wissenschaftsdisziplinen als auch innerhalb dieser bringen?

Ein Dialog zwischen Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen geschieht immer zwischen konkreten Individuen mit spezifischen Wissensbeständen, Erfahrungen und Fähigkeiten. Idealerweise ist in Dialogen niemand nur Wissenschaftler_in ohne jede praktische Erfahrung, niemand nur Praktiker_in ohne jedes Verständnis wissenschaftlicher Theorien und Methoden. Wissenschaft kann Praxis bei der Analyse ihrer Ausgangsbedingungen unterstützen, fundierte Einsichten und Ideen zur Verfügung stellen sowie die etablierte Praxis immer wieder mit kritischen Nachfragen konfrontieren.

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern: zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler_innen, Praktiker_innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Interdisziplinäre Kontakte und Formen der Zusammenarbeit haben sich bei mir bislang immer zufällig ergeben, jedoch in erheblichem Ausmaß und in interessanten Formaten. Anfragen würde ich mir in Bezug auf Entwicklungsprozesse von Konzepten der politischen Bildung wünschen, die von Anfang wissenschaftlich begleitet werden sowie im Rahmen von Evaluationsprojekten, die nicht als Legitimationsbeschaffung angelegt sind, sondern als kritischer Dialog.

 

Veröffentlicht am 11.07.2019

 

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