
Vorträge und Podiumsgespräch
Fachtagung „Zusammen:denken – Politische Bildung im Plural“
Montag, 20.11.2023
Gespräch und Publikumsdiskussion: Menschenrechte als normative Grundlage politischer Bildung
Diskutierende:
Prof.in Dr.in María do Mar Castro Varela
Statement: „Die Wirkmächtigkeit des Menschenrechtsdiskurses wird erst verständlich, wenn Recht und Rechtssetzungen als erforderliche Instrumente des Kolonialismus verstanden werden, die sowohl in den kolonisierten Ländern als auch in Europa grundlegende Veränderungen im Verständnis von Gerechtigkeit hervorbrachten. Nicht selten haben Rechtsinstitutionen imperialistische Unternehmungen wortwörtlich legitimiert. Die Universalisierung des Völkerrechts fungierte beispielsweise sowohl als Instrument als auch als Bedingung kolonialer und postkolonialer Herrschaft. Politische Bildung muss diese Ambivalenz des Menschenrechtsdiskurses vermitteln, so dass Menschen dazu befähigt werden 'Menschenrechte' zu ent-idealisieren.“
Referenztexte:
- Castro Varela, María do Mar / Dhawan, Nikita (2020): Die Universalität der Menschenrechte überdenken. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ), H. 20, Berlin, S. 33-38. Online verfügbar
María do Mar Castro Varela ist Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Sie war u.a. Fellow des Thomas Mann House in Los Angeles, Ustinov Gastprofessorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Senior Fellow am Institut für die Wissenschaft des Menschen (IWM), Wien und Research Fellow am Institut for Humanities and International Law in Melbourne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Ethik, Protest, Emanzipation und Wissensproduktion.
Dr.in Sandra Reitz
Statement: „Menschenrechte als normative Grundlage politischer Bildung betrifft aus meiner Perspektive drei Ebenen: Erstens die Bildungsinhalte, dass also Menschenrechte als Inhalt behandelt werden. Dabei muss auch die Kritik an Menschenrechten – genauer meist: am Menschenrechtsdiskurs sowie am Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit – berücksichtigt werden. Zweitens betrifft es die Prozess- und Durchführungsebene der Bildungspraxis, die sich an den Menschenrechten orientieren muss. Das mag banal klingen, es bedeutet aber in Ableitung aus verschiedenen UN-Konventionen, die das Menschenrecht auf Bildung beinhalten, die Angebote möglichst inklusiv, partizipativ und diskriminierungskritisch zu gestalten, und dementsprechend auch institutioneller Diskriminierung entgegenzuwirken. Drittens geht es auch um die Handlungsebene, also darum, in kleinen Schritten darauf hinzuwirken, dass sich die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Menschenrechte verkleinert.“
Referenztexte:
- Deutsches Institut für Menschenrechte (2023): Klare Kiste – Menschenrechte. Reflexionsfragen für Fachkräfte in der frühkindlichen Bildung. Berlin. Online verfügbar
- Deutsches Institut für Menschenrechte (2016): Menschenrechte: Materialien für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen. Berlin. Online verfügbar
- Günnewig, Kathrin / Niendorf, Mareike / Reitz, Sandra (2022): Menschenrechte – Grundlage und Auftrag pädagogischen Handelns. In: Leonhardt, Nico et al. (Hrsg.): Menschenrechte im interdisziplinären Diskurs. Perspektiven auf Diskriminierungsstrukturen und pädagogische Handlungsmöglichkeiten. Weinheim, Basel, S. 76-87
- Reitz, Sandra (2017): Menschenrechtsbildung als Beitrag zu Empowerment und Solidarität. In: Achour, Sabine / Gill, Thomas (Hrsg.): Was politische Bildung alles sein kann. Einführung in die politische Bildung. Schwalbach am Taunus, S. 46-59
- Reitz, Sandra / Rudolf, Beate (2014): Menschenrechtsbildung für Kinder und Jugendliche: Befunde und Empfehlungen für die deutsche Bildungspolitik. Berlin. Online verfügbar
- Reitz, Sandra (2013): Zur Universalität der Menschenrechte. EWE (Erwägen Wissen Ethik) 24 (2013) 2, S. 291-294
Dr.in Sandra Reitz arbeitet zu Grundsatzfragen der Menschenrechtsbildung am Deutschen Institut für Menschenrechte. Von 2013 bis 2023 leitete sie dort die Abteilung Menschenrechtsbildung, und von 2009 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie promovierte zum Thema „Improving Social Competence via E-Learning: The Example of Human Rights Education" und schloss ihr Studium mit dem Ersten Staatsexamen für Lehramt ab.
Prof. Dr. Albert Scherr
Statement: „Die Menschenrechte sind sowohl eine unverzichtbare und alternativlose normative Grundlage für die politische Bildung als auch selbst Gegenstand politischer Interpretationen und Auseinandersetzungen. Der Bezug auf die Menschenrechte bringt das Bedürfnis nach einem unstrittigen normativen Fundament politischen Denkens und Handelns zum Ausdruck, kann diesbezügliche Gewissheit aber nur auf der Ebene einer abstrakten Moralität herstellen, da Kontroversen dazu nicht vermeidbar sind, welche politischen Positionen und Forderungen aus den Menschenrechten begründet abzuleiten sind und welche nicht.“
Referenztexte:
- Hormel, Ulrike / Scherr, Albert (2005): Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Bonn
- Scherr,Albert (2008): Gesellschaftspolitische Bildung — Kernaufgabe oder Zusatzleistung der Jugendarbeit? In: Otto, H.-U., Rauschenbach, T. (Hrsg.) Die andere Seite der Bildung. Online verfügbar
- Scherr, Albert (2020): Menschenrechte: ein kontroverses Diskursfeld. In: Sozial Extra 44, S. 328-333 Online verfügbar
- Scherr, Albert (2021): Über die Bedeutung der Menschenrechtsbildung im 21. Jahrhundert. Online verfügbar (YouTube)
Albert Scherr ist Seniorprofessor am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Research Fellow an der University of the Free State, QuaQua Campus, South Africa. Seit Anfang der 1990er Jahre hat Albert Scherr zahlreiche Beiträge zur theoretischen Fundierung der politischen Bildung vorgelegt, u.a. im Kontext der Auseinandersetzungen über Pädagogik gegen Rechtsextremismus und der Bildungserfordernisse einer modernen Einwanderungsgesellschaft.
Dienstag, 21.11.2023
Vortrag: Ziemlich beste Feinde oder viel Lärm um (fast) nichts? – Überlegungen zum Streit zwischen Demokratiepädagogik und Politikdidaktik
Referent: Prof. Dr. Marc Partetzke
Häufig ist von einem Dissens, gelegentlich sogar von einem handfesten Streit zwischen der Politikdidaktik auf der einen und der Demokratiepädagogik auf der anderen Seite zu lesen. Im Vortrag werden die Grundzüge dieses Konflikts nachgezeichnet und es wird die These entwickelt, dass unterhalb der Sichtebene eigentlich gar kein Dissens zwischen diesen beiden Disziplinen ausgemacht werden kann bzw. keine (guten) Gründe für den erwähnten Streit existieren. Ausgehend von den drei bekannten „Spielarten“ schulischer demokratisch-politischer Bildung – Schulprinzip, Unterrichtsprinzip und Unterrichtsfach – wird sodann der Versuch eines Versöhnungsvorschlags unterbreitet, der sich in der Skizze eines Integrationsmodells amalgamiert, das schließlich zur Diskussion gestellt wird.
Referenztext:
- May, Michael / Partetzke, Marc (2023): Einführung in die Politikdidaktik. Bd. 1: Geschichte, Essentials, Forschungs- und Entwicklungsfelder, Frankfurt/M.
Prof. Dr. Marc Partetzke
Marc Partetzke ist Professor für Politikdidaktik und Politische Bildung an der Universität Hildesheim. Zu seinen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten zählen u.a. die politikdidaktische (Auto-)Biografieforschung, politikdidaktische Ansätze und Prinzipien, die narrationsbasierte politische Bildung und die historisch-politische Bildung (Schwerpunkt: ehemalige Deutsche Demokratische Republik).
Vortrag: Integrationsmodell für politische Bildung in der Jugendbildung/Jugendarbeit
Referentin: Dr.in Helle Becker
Die Beobachtung, dass es in allen Feldern der Kinder- und Jugendarbeit politische Bildungsmöglichkeiten für junge Menschen gibt, erfordert ein neues Nachdenken über Konzepte, die, abgeleitet von spezifischen Professionsvorstellungen, Funktionszuweisungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, bisher nur auf einzelne Praxisfelder bezogen sind. Fachlichen Debatten, die vor allem die Unterschiede betonen, werden Überlegungen gegenübergestellt, die die Abhängigkeit dieser Konzepte von spezifischen Praxisbedingungen berücksichtigen, und gleichzeitig Möglichkeiten der Kombination und Überschreitung eröffnen. Das „Integrationsmodell für politische Bildung in der Jugendbildung/Jugendarbeit“ greift die in den unterschiedlichen Handlungsfeldern vorhandenen methodischen Arbeitsprinzipien auf und kombiniert sie. Das Modell erlaubt es, Gemeinsamkeiten und Handlungsmodi bzw. Bildungs- oder Wahrnehmungsweisen politischer Bildung zu beschreiben, die potenziell in allen Praxisfeldern vorkommen bzw. quer zu ihnen liegen. Es wird deutlich, wie Jugendarbeit und politische Jugendbildung ineinandergreifen können und erst gemeinsam ihr volles Potenzial eröffnen.
Referenztexte:
- Becker, Helle (2023): Mehr politische Bildung und Demokratiebildung in der landesgeförderten Jugendsozialarbeit in NRW. Eine Arbeitshilfe. Hrsg. v. LVR-Landesjugendamt Rheinland. Köln. Online Verfügbar [ PDF | 408 KB ]
- Becker, Helle (2022): Integrationsmodell für politische Bildung in der Jugendbildung/Jugendarbeit, In: Transfer für Bildung e.V. (Hrsg.): Politische Bildung und Jugendarbeit. Handreichung für eine verbindende Perspektive, S. 41-55 mehr lesen
- Becker, Helle (2020): Demokratiebildung und politische Bildung in den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendarbeit (SGB VIII § 11-13) – Studie. In: Deutschen Jugendinstitut e.V. (Hrsg.): Materialien zum 16. Kinder- und Jugendbericht. München. Online Verfügbar [ PDF | 0,98 MB ]
Dr.in Helle Becker
Helle Becker ist Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin, Geschäftsführerin von Transfer für Bildung e.V. und Leiterin von Expertise & Kommunikation für Bildung, zwei Organisationen, die auf Zusammenarbeit von Forschung und Praxis, angewandte Forschung und deren Nutzbarmachung im Bereich der politischen, kulturellen und internationalen Bildung spezialisiert sind. Sie hat Lehraufträge an der TH Köln und der Universität Hildesheim.
Vortrag: Das „Feld der politischen Bildung“: Konturen und exemplarische Einordnungen kontroverser Debatten
Referierende: Prof. Dr. Helmut Bremer, Songül Cora, Catrin Opheys, Dr. Tim Zosel
Vorgestellt wird eine Heuristik des „Feldes der politischen Bildung“. Diese dient dazu, gegenwärtig kontrovers diskutierte Themen der politischen Bildung und die damit verbundenen Kämpfe und Dynamiken zu verstehen. Dazu wird angeknüpft an das von Pierre Bourdieu (2001) entwickelte Konzept des „politischen Feldes“, verstanden als „sozialer Mikrokosmos“ mit eigenen Praxisformen und Kultur. Darin wird um die Deutungshoheit und Veränderung der Kräfteverhältnisse im Bereich des „Politischen“ gerungen, so dass insbesondere Prozesse des Ein- und Ausschlusses aus der „Politik“ aufgedeckt werden können. In diesen Kämpfen hat die politische Bildung keinen festen Ort; ihr werden aber Plätze und Funktionen zugewiesen, zu denen sie sich verhalten kann und muss, bzw. sie kann innerhalb dieser Kämpfe selbst aktiv Plätze einnehmen. Wie sich in diesem Kontext ein eigenes „Feld der politischen Bildung“ konstruieren lässt, soll anhand von drei kontrovers diskutierten Themen verdeutlicht werden: Neutralität, Diskriminierungskritik und politische Grundbildung. Das „Feld der politischen Bildung“ verhilft dazu, die damit verbundenen Auseinandersetzungen und Spannungen besser zu verstehen und einzuordnen.
Referenztexte:
- Bremer, Helmut / Kleemann-Göhring, Mark (2010): „Defizit“ oder „Benachteiligung“: Zur Dialektik von Selbst- und Fremdausschließung in der politischen Erwachsenenbildung und zur Wirkung symbolischer Herrschaft. In: Zeuner, Christine (Hrsg.): Demokratie und Partizipation - Beiträge der Erwachsenenbildung (Hamburger Hefte der Erwachsenenbildung, 1/2010,). Hamburg, S. 12–28. Online verfügbar [ PDF | 1,07 MB ]
- Opheys, Catrin / Bremer, Helmut (2022): Proteste gegen die „Corona-Politik“ und das politische Feld. Die Notwendigkeit ungleichheitssensibler Zugänge in der politischen Erwachsenenbildung. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 46, S. 53-64
- Zosel, Tim (2021): Politikbilder und Habitus. Eine soziologische Untersuchung von Politiklehrer*innen in Deutschland und Israel. Dissertation. Essen: Universitätsbibliothek Duisburg-Essen. Online verfügbar (2021-10-18)
Prof. Dr. Helmut Bremer
Helmut Bremer ist Professor für Erwachsenenbildung/Politische Bildung an der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Politische Erwachsenenbildung, Gesellschaftsbildforschung, Ungleichheit in Gesellschaft, Bildung und Politik, Grundbildung, Studierendenforschung, qualitative Habitus- und Milieuforschung und ihre Methoden.
Songül Cora
Songül Cora forscht im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekt „Grundbildung im Kontext von Arbeit und Berufsorientierung - Zugänge schaffen und Übergänge gestalten (GABO)“ an dem Standort Universität Duisburg-Essen zu arbeitsorientierten Grundbildungskontexten aus einer Habitus- und Milieuperspektive. Songül Cora beschäftigt sich außerdem mit Fragen zu (aufsuchender) politischer Bildung, sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe.
Catrin Opheys
Catrin Opheys ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet Erwachsenenbildung/Politische Bildung und zudem freiberuflich in der politischen Bildungsarbeit tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Politische Bildung und Partizipation, diskriminierungskritische und ungleichheitssensible Bildung, Studium, Habitus und soziale Ungleichheit, qualitative Sozialforschung.
Dr. Tim Zosel
Tim Zosel arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet Erwachsenenbildung/Politische Bildung. Er forscht und lehrt zu den Themenfeldern Politikbilder und Habitus, Biografie und Politik sowie politischer Partizipation und ist darüber hinaus in der politischen Weiterbildung für Lehrer*innen an Berufskollegs eingebunden.
Vortrag: Politische Bildung für alle? Oder: Warum wir in der politischen Bildung nicht so sehr auf Zielgruppen fixiert sein sollten.
Referentin: Prof.in Dr.in Anja Besand
Politische Bildung ist für alle Menschen, darüber gibt es wenig Streit. Mehr gestritten wird zu der Frage, mit der Hilfe welcher Strategien das gelingen kann. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, welche Schwierigkeiten sich ergeben, wenn wir in der politischen Bildung zu sehr über vermeintlich schwer erreichbare Zielgruppen nachdenken und welche Wege es geben könnte, eine inklusive politische Bildung anders zu denken. Raumbezogene Konzepte können hier vielversprechend sein. Im Vortrag werden die Möglichkeiten einer solchen Neupositionierung an einem konkreten (und humorvollen) Beispiel durchgespielt: Politische Bildung in der Hundeschule.
Referenztext:
- Besand, Anja (2022): Von Zielgruppen zu Formaten und Räumen. Oder: Warum wir in der politischen Bildung nicht so sehr auf Zielgruppen fixiert sein sollten. In: Außerschulische Bildung. Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung 3/2022
Prof.in Dr.in Anja Besand
Anja Besand ist Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden (seit 2009) und Direktorin der John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie (seit 2020). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich schulische und außerschulische politische Bildung, politische und kulturelle Bildung, Umgang mit Rechtsextremismus, Lernorte und Strategien.
Vortrag: Partizipation und politische Teilhabe mit allen als Auftrag politischer Bildung
Referent: Thomas Gill
Im letzten Jahrzehnt haben die Verfahren zur Bürgerbeteiligung erheblich zugenommen. Dies kann als (neue) Form der partizipativen Demokratie verstanden werden. Anspruch der Verfahren ist es, die politische Teilhabe der Bürger*innen / Einwohnenden (?!) zu erhöhen. Gleichzeitig zeigt sich der gegenteilige Effekt. Die soziale Ungleichheit der politischen Teilhabe ist insbesondere bei diskursiven Formen der partizipativen Demokratie deutlich stärker ausgeprägt als bei den Beteiligungsformen der repräsentativen Demokratie: Wahlen, Parteimitgliedschaft. Dort, wo die Partizipationslücke wahrgenommen wird, führt dies zum Ruf nach Angeboten der politischen Bildung. Aber kann politische Bildung die Erwartungen erfüllen? Und wenn ja, welche Angebote bräuchte es? Wo müssten diese ansetzen? Welche Erfahrungen liegen im Rahmen von Ansätzen einer „aufsuchenden politischen Bildung“, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, vor? Welche Rahmenbedingungen wären notwendig, um partizipative Demokratie nicht in Form von Einzelprojekten, sondern als regelhaftes Angebot zu etablieren?
Referenztext:
- Achour, Sabine / Gill, Thomas (2023): Partizipation und politische Teilhabe mit allen: Auftrag politischer Bildung: Vom Klassenrat zum zivilen Ungehorsam, Frankfurt/Main
Thomas Gill
Thomas Gill ist Direktor der Berliner Landeszentrale für politische Bildung. Er studierte Politikwissenschaft, Soziologie, Pädagogik und Philosophie in Darmstadt und Frankfurt/Main und war langjährig in der außerschulischen politischen Jugendbildung tätig, u.a. als Geschäftsführer der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein.
Vortrag: Antisemitismus und Empowerment. Perspektiven, Ansätze, Projektideen
Referentin: Marina Chernivsky
Das Ringen um Gleichberechtigung und Anerkennung ist für Menschen, deren Leben durch soziale Dominanz, ungleiche Machtverteilung und Diskriminierung geprägt ist, eine Daueraufgabe. Empowerment als politischer Ansatz verhilft zur Identitätsentwicklung, Autonomiegewinnung und (Wieder-)Herstellung der Handlungsmacht. Im Kontext von Antisemitismus geht es zum einen darum, umfassende Selbstermächtigungsprozesse zu unterstützen und zum anderen eine kritische Auseinandersetzung mit Wirkung und Verankerung antisemitischer Strukturen in der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft zu intensivieren.
Marina Chernivsky
Marina Chernivsky ist Psychologin und Verhaltenswissenschaftlerin. Sie forscht auf dem Themengebiet Antisemitismus und Diskriminierung, ist Lehrbeauftragte und Bildungsvermittlerin. Sie leitet das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment und ist Gründerin sowie Geschäftsführerin von OFEK e.V. Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung. Bis 2017 war sie Mitglied im Zweiten Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages und ist seit 2019 Mitglied im Beratungsgremium des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Außerdem ist sie Mitherausgeberin der Zeitschrift „JALTA – Positionen zur jüdischen Gegenwart“ und im Vorstand von AMCHA Germany e.V. sowie DTPPP– Dachverband der transkulturellen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im deutschsprachigen Raum e.V.