Hingehen um zu bleiben?! – Aufsuchende politische Bildungsarbeit

Protokoll Transferdialog 4

 

Als Expert_innen aus Wissenschaft und Praxis geladen waren:

  • Prof. Dr. Sabine Achour/Freie Universität Berlin
  • Prof. Dr. Helmut Bremer/Universität Duisburg-Essen
  • Ulrich Brinker/Institut für Migrations- und Aussiedlerfragen Heimvolkshochschule St. Hedwigs-Haus e. V.
  • Mark Kleemann-Göhring/Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule NRW
  • Sindyan Qasem/Ufuq e.V.
  • Martin Ströhmeier/DGB Bildungswerk Bund e.V.
  • Michael Trube/Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)
  • Moderation: Barbara Christ/Transferstelle politische Bildung

 

Der Transferdialog „Hingehen um zu bleiben?! – Aufsuchende politische Bildungsarbeit“ fand zweimal statt.

In den Transferdialogen „Hingehen um zu bleiben?! – Aufsuchende politische Bildungsarbeit“ stellten Expert_innen aus Wissenschaft und Praxis zu Beginn verschiedene Ansätze aufsuchender politischer Bildung vor und diskutierten Gelingensbedingungen dieser Arbeit. Als zentraler Gedanke der aufsuchenden politischen Bildung wurde die Veränderung von einer „Komm-“ zu einer „Gehstruktur“ festgehalten. Wichtige Themen, die in diesem Kontext eine Rolle spielen, waren die Anbindung von Brückenmenschen, die Vernetzung mit Kooperationspartner_innen und die Wahl des Lernorts.

 

Forderung nach nachhaltiger Förderung von Kooperationen

Konsens bestand darüber, dass es verschiedener Wege bedarf, um unterschiedliche Personengruppen zu erreichen, für aufsuchende politische Bildung gibt es keine Patentrezepte. Es müssen Lerngelegenheiten geschaffen werden, die der jeweiligen Zielgruppe angepasst werden, so die Teilnehmenden. Der Schwerpunkt aufsuchender politischer Bildung sollte auf dem Aufbau von Kooperationsstrukturen liegen, um eine dauerhafte Vernetzung unterschiedlicher Akteur_innen etablieren zu können. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass es teilweise bereits gute Kooperationsstrukturen gibt, diese aber nicht nachhaltig gefördert werden.

 

Vertrauen spielt eine übergeordnete Rolle

Die Teilnehmenden der Diskussion waren sich einig, dass in der aufsuchenden politischen Bildung das Thema Vertrauen eine übergeordnete Rolle spielt. Dieses könne über Brückenmenschen oder Vertrauenspersonen hergestellt werden. Im Dialog wurde von vielen positiven Beispielen aus Forschung und Praxis berichtet. Die Diskutierenden waren sich aber uneins, welche Personen als Brückenmenschen definiert werden sollten und wie die Art der Anbindung an die Institutionen gestaltet werden sollte. Auch wurde diskutiert, inwiefern es für das pädagogische Personal der Einrichtungen wichtig sei, eine biografische Nähe zur Zielgruppe zu haben.

 

Langfristige Bindung, Haltung und Übersetzungsleistung

Als weitere Gelingensbedingung wurde ausreichend Zeit genannt. Die Menschen müssten nicht nur abgeholt, sondern auch langfristig gebunden werden. Auch das Thema Haltung wurde diskutiert. Für politische Bildner_innen sei es wichtig, offen für die Themen der Menschen zu sein, viel zuzuhören und auch eigene Fehler und Ängste zuzulassen und diese auch zu artikulieren. Es sei wichtig, das (politische) Thema hinter den Themen der Teilnehmenden zu finden. Diese Übersetzungsleistung stelle jedoch eine große Herausforderung dar. Kritisch diskutiert wurde, inwieweit man sich auf extreme Positionen zubewegen kann und soll.

 

Sozialraumbezug als Möglichkeit politischer Bildung

Ein Wunsch der Teilnehmenden war, dass durch politische Bildung auch Hoffnung aufgezeigt wird. Gewinnbringend für die politische Bildung könne der Sozialraumbezug oder die Sozialraumorientierung sein. Stadtteilzentren oder das Quartiersmanagement können einen Kontakt und eine „Übersetzungsleistung“ in Richtung der Zielgruppe, aber auch in Richtung der Bildungsträger bieten. Auch die aufsuchende Onlinearbeit wurde als ein Ansatz vorgestellt.

 

Aufsuchende politische Bildung in der Schule

In den Dialogen wurde auch die Schule als Ort aufsuchender Bildungsarbeit diskutiert und Beispiele aus der Arbeit außerschulischer politischer Bildung an Berufsschulen eingebracht. Diese Arbeit müsste gestärkt und ausgebaut werden, um wenig erreichte Zielgruppen politischer Bildung zu erreichen. Gleichzeitig wurde auch auf Desiderate der Schulpraxis hingewiesen, wie die fehlende Zeit für Demokratieunterricht oder fehlende fächerübergreifende Demokratiebildung. Die schulische politische Bildung könne von der außerschulischen Bildung lernen, indem sie z. B. bestimmte Formen politischen Handelns in den Unterricht integriert.

Veränderungen der Förderstrukturen für eine aufsuchende politische Bildung
Die Teilnehmenden machten deutlich, dass die Förderstrukturen verändert werden müssen, damit Projekte der aufsuchenden Bildungsarbeit überhaupt möglich sind. Hierzu gehöre auch eine Grundlagen- und Strukturfinanzierung, die gebraucht werde, um die zusätzlichen Kosten (wie zum Beispiel Weiterbildung, Arbeit mit und von Brückenmenschen etc.) zu tragen.

 

Vielfältige Forschungsfragen

Für die aufsuchende politische Bildung, aber auch für die politische Bildung allgemein wurden diverse Forschungsfragen formuliert. Wichtig sei herauszufinden, wer die wenig erreichten Zielgruppen politischer Bildung wirklich sind und was sie benötigen. Für den Bereich der schulischen politischen Bildung wünschten sich die Teilnehmenden Forschung zu der Veränderung der politischen Einstellungen von Schüler_innen vor und nach dem Politikunterricht. Außerdem wünschten sie sich eine Konzeptentwicklung für den Umgang mit Menschen mit rechtsextremen Meinungen. Darüber hinaus müsste auch deren Motivationen erforscht werden. Studien sollten außerdem die Frage behandeln, ob die Vermittlung von Wissen über politische Strukturen zu mehr Demokratieverständnis führt und wie sich der Zusammenhang von politischem Lernen und politischem Handeln gestaltet.
Zum Abschluss der zweiten Runde dieses Transferdialogs wurde gefordert, dass die politische Bildung selbst politscher werden und Lobbyarbeit für die eigene Sache betreiben sollte.