Mit Haltung! – Habitus als Ressource und Grenze

Protokoll Transferdialog 2

 

Als Expert_innen aus Wissenschaft und Praxis geladen waren:

  • Dr. Susann Gessner/Universität Marburg
  • Felix Ludwig/Universität Münster
  • Prof. Dr. Achim Schröder/Hochschule Darmstadt
  • Dr. phil. Christian Boeser-Schnebel/Universität Augsburg
  • Ruth Grune/Bundeszentrale für politische Bildung/bpb
  • Dr. Norbert Reichel/Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen
  • Sonja Puchelski/Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN DGB/VHS e.V. 
  • Moderation: Sascha Rex/Deutscher Volkshochschul-Verband

 

Der Transferdialog „Mit Haltung! – Habitus als Ressource und Grenze“ fand zweimal statt.

Fotos: Fotostudio Heupel

In den beiden Transferdialogen „Mit Haltung! – Habitus als Ressource und Grenze“ wurde der Begriff des Habitus diskutiert und welche Bedeutungen er im Kontext der Arbeit mit wenig erreichten Zielgruppen einnehmen kann.

 

Politische Bildung braucht vielfältige Methoden und Zeit

Aus dem Bereich der Forschung wurde berichtet, dass der Habitus von Jugendlichen stark von ihrem sozialen Umfeld geprägt, jedoch nicht unveränderlich sei. Politische Bildung könne dabei helfen, ein beschränkendes Milieu zu überwinden. Es gäbe hierbei nicht eine einzige Erfolgsmethode, wichtiger seien vielfältige Methoden und professionell agierende politische Bildner_innen. Außerdem müsse politische Bildung als zeitlicher Prozess verstanden werden. Längerfristige Angebote und aufeinander aufbauende Veranstaltungen seien wichtig, um den Prozess weiter anzuregen und aufrechtzuerhalten.

 

Haltungen müssen offen kommuniziert werden

Zum Habitus von politischen Bildner_innen wurde angemerkt, dass deren Haltung teilweise als „arrogant“ wahrgenommen werde. Politische Bildner_innen laufen Gefahr, ihr Wissen und ihren Auftrag als einzige „Wahrheit“ zu verstehen und nur darauf hinzuarbeiten, die Haltung der Zielgruppe zu verändern. Diskutiert wurde auch, ob es sich tatsächlich um Arroganz oder eher um Hilflosigkeit und Überforderung handelt, da in der Arbeit mit wenig erreichten Zielgruppen häufig weitreichende pädagogische Kompetenzen gefordert seien, die unter anderem dem Bereich Sozialer Arbeit zugeordnet werden können. Ein Problem sei, dass politische Bildner_innen nur wenige Erfahrungen aus der Lebenswelt ihrer Zielgruppe teilen. Im Transferdialog wurde außerdem über die Rolle des Beutelsbacher Konsenses als gemeinsamer Arbeitsrahmen diskutiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass politische Bildner_innen ihre Haltung offen kommunizieren und auch zugeben sollten, wenn sie etwas nicht wissen oder verstehen. Sie müssten auch anerkennen, dass sich einige Menschen nicht ändern, bilden oder überzeugen lassen möchten.

 

Teilnehmende ernst nehmen und an ihrer Lebenswelt ansetzen

In Bezug auf diese Probleme wurde angemerkt, dass der Habitus politischer Bildner_innen offener und „suchender“ sein sollte. Außerdem sei es wichtig, zuzuhören, Reibungen auszuhalten und die eigene Komfortzone zu verlassen. Man müsse alle Teilnehmenden ernst nehmen und an ihrer spezifischen Lebenswelt ansetzen. Die Bildner_innen sollten eine pädagogische Grundhaltung bewahren und nicht separierend von „denen“ und „wir“ sprechen. Dazu gehöre auch die Anerkennung, dass z. B. bildungsbenachteiligte Personen ebenfalls eine politische Meinung besitzen und zur politischen Partizipation fähig sind. Dennoch müsste es weiterhin eine selbstbewusste Gestaltung von Bildungsprozessen geben, in der auch Grenzen aufgezeigt werden und nicht verhandelbare Grundwerte verteidigt würden. Dies sei nicht nur legitim, sondern auch sehr wichtig, darüber waren sich die Diskussionsteilnehmenden einig.

Entscheidend sei weiterhin, dass politische Bildner_innen begeistern können, offen sind und auf die Reaktionen der Teilnehmenden eingehen können. Es sollte Professionalität darin entwickelt werden, mit verschiedenen und diversen Haltungen umzugehen. Erfolgreich sei politische Bildung dann, wenn die Teilnehmenden die Erfahrung machen, dass sie politisch in ihrer eigenen Lebenswelt etwas verändern und bewegen können. Dazu sei das Gefühl, ernst genommen zu werden ebenso wichtig wie eine Identifikation mit dem Angebot. Die Langfristigkeit von Angeboten sollte Eigeninitiative wecken und zur Selbstorganisation der Teilnehmenden anregen.

 

Auch Institutionen haben einen Habitus

Auch der Habitus von Institutionen der politischen Bildung kann zur Ausschließung wenig erreichter Zielgruppen führen. Empfohlen wurde, die Strukturen der Institutionen zu analysieren und transparent zu machen. Gefordert wurde außerdem, dass die Einrichtungen die Pluralität von Angeboten fördern. Die Diskussionsteilnehmenden hielten fest, dass gleichzeitig auch akzeptiert werden müsste, wenn eine Institution ihre Angebote nur an eine spezifische Zielgruppe richtet. Der Inklusionsgrad der jeweiligen Einrichtungen sei immer von ihren jeweiligen Strukturen, ihrer Ausstattung und ihrem Personal abhängig.

 

Haltungen in digitalen Umgebungen

Diskutiert wurde außerdem über politische Bildung in digitalen Umgebungen wie Social Media-Plattformen. Hier lassen sich häufig wenig erreichte Zielgruppen finden, so die Diskutierenden. Sie stuften politische Bildung in digitalen Umgebungen als sehr komplex ein. Dies begründeten sie mit der zunehmenden Beschleunigung und Anonymität, ungefilterten Hasskommentaren und einer immerwährenden Fortsetzung von Diskussionen. Im Internet sei eine klare demokratische und wertorientierte Haltung politischer Bildung noch mehr gefragt, werde aber auch mehr beansprucht. Die Teilnehmenden der  beiden Runden des Transferdialogs waren sich einig, dass sich digitale Diskussionsräume von analogen Räumen unterscheiden. Politische Bildner_innen müssten sich dort stärker emotional bzw. psychisch schützen. Es wurden einige offene Fragen formuliert: Wie gehen politische Bildner_innen mit den zuvor geschilderten Herausforderungen um? Auf welches Politikverständnis treffen sie im Internet? Welche Prozesse politischer Bildung finden im Internet statt? Wie können Inhalte im Internet beurteilt und Erfolge gemessen werden? Um die geforderte Haltung einzunehmen, wünschten sich die Teilnehmenden angemessene Methoden und Strategien.

 

Habitusforschung sollte vorangetrieben werden

Insgesamt, so waren sich die Teilnehmenden einig, müsse die Habitusforschung vorangetrieben werden. Sie sollte die „Innenwelt“ der Zielgruppe untersuchen, um milieuspezifische Perspektiven zu erschließen. Aber auch der Habitus der politischen Bildner_innen sollte durch Forschung methodisch zugänglich gemacht werden. Folgende weitere Fragen wurden an die Forschung gerichtet: Welche Themen werden überhaupt als politisch wahrgenommen und wer setzt diese Themen fest? Welche Angebote benötigen wenig erreichte Zielgruppen?

Als weitere offene Fragen wurden genannt, wie Zielgruppen anhand ihres Sprachgebrauchs unterschieden werden können und ob politische Bildung stärker an die politische Praxis angebunden werden sollte, um für die Teilnehmenden politische Handlungsfelder zu eröffnen. Ein Dilemma, in dem sich politische Bildung aktuell befinde, sei die Frage, ob politische Bildung Veränderungen bewirken oder Bestehendes bewahren soll.