Ein „gelungener und notwendiger Ansatz zur stärkeren Durchwirkung von Wissenschaft und Praxis"

Dialogrunden auf der Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung bringen Wissenschaft und Praxis zusammen

Die Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung bot circa 100 Vertreter_innen aus Wissenschaft und Praxis das Forum, sich in insgesamt 16 so genannten Dialogrunden zum Thema Neue Medien in der Politischen Bildung auszutauschen. „target=“_blank“ (Programmierbefehl für „neues Fenster öffnen“) hinterließ eine Menge an Fragen, aber auch Ideen und Wünschen an eine Weiterentwicklung der politischen Bildung.

 

Themen der Dialogrunden

Entlang von acht Themenbereichen ging es um aktuelle Ergebnisse empirischer Forschung aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die mit Praxiserfahrungen aus der Politischen Bildung konfrontiert und miteinander diskutiert wurden.

 

Ausgangspunkt vieler Gespräche waren die Veränderungen in der politischen Kommunikation sowie neue Formen der Öffentlichkeit und damit zusammenhängendem Informationsverhalten der Bürger_innen. Thematisiert wurden der Rückgang textbasierter Informationen, die Schnelligkeit und der Umfang der Informationsverbreitung und die neuen Möglichkeiten der Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung. In diesem Zusammenhang wurden neue Erkenntnisse zum Rechtsextremismus im Netz ausgetauscht – auch exemplarisch für demokratiefeindliche oder menschenverachtende Kommunikation in den digitalen Medien. Unter anderem wurde der Umgang mit neuen Formaten durch rechtsextreme Gruppierungen zum Beispiel bei Facebook diskutiert. Hier werden aktuelle zivilgesellschaftliche Anliegen zu Themen wie Gender und Islam aufgenommen, mit denen neue Zielgruppen angesprochen werden sollen. Die Politische Bildung kann mit ansprechenden Angeboten einen Gegenpol zu rechtsextremen Inhalten im Netz bieten. Gleichzeitig wurde auf die Schwierigkeit hingewiesen, im Internet Personen mit Affinität zum rechtsextremen Spektrum zu erreichen. Generell herrschte bei vielen Teilnehmenden Unsicherheit vor, wie mit dem Thema Rechtsextremismus im Netz umgegangen werden sollte.

 

Bei der Frage danach, welche Aufgaben sich daraus für die politische Bildung ergeben, ging es auch um kritische Medienkompetenz, die von den Teilnehmenden als gesellschaftliche Schlüsselkompetenz gewertet wurde. Studien zum Umgang mit Medien und zum Medienbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zeigen, dass diese durchaus um Gefahren der digitalen Vernetzung wissen, hieraus aber oft kaum Konsequenzen ziehen. Politische Bildungsprozesse können hier ansetzen, sollten aber auch Potentiale digitaler Medien aufzeigen. Dies setzt - für Bürger_innen wie für politischen Bildner_innen - technische Kompetenzen und ein kritisches Bewusstsein voraus, um Inhalte im Netz oder Fragen der Datensicherheit bewerten zu können.

 

Ein Querschnitts-, aber auch ein Dialogthema war die Frage nach neuen Partizipationsmöglichkeiten durch digitale Kommunikation. Die Möglichkeiten, vom „Konsumenten“ zum „Produzenten“ von Informationen zu werden, werden vielfältiger und leichter zugänglich, kosten wenig Zeit und Vorwissen und erreichen mittlerweile viele Menschen. Kritisch wurde anhand einschlägiger Studien darauf hingewiesen, dass auch im Internet nicht alle Bürger_innen gleichermaßen partizipieren und es sich bei vielen Beteiligungsangeboten um eine Scheinpartizipation handelt. Dadurch, dass Selbstwirksamkeitserwartungen ermöglicht werden, bietet das Netz vielfältige Mittel, um zur Beteiligung anzuregen, waren sich die Teilnehmenden einig. Politische Bildung kann Optionen zur Partizipation im Internet aufzeigen und Partizipation im Kleinen möglich machen.

 

Die eigentlich nicht mehr neuen Medien gelten auch als „Türöffner“ und methodischer Anreiz in der politischen Bildung. Aus Forschung und Praxis wurde über Projekte und Wege berichtet, wie durch den Einsatz digitaler Medien neue Zielgruppen in der politischen Bildung erreicht werden können. Erfolgreich stellte sich hierbei beispielsweise der Einbezug von Multiplikator_innen wie Youtubern heraus. Positiv berichteten die Akteure auch vom Einsatz kurzer Texte und Videos. Neue Medien können insbesondere für Jugendliche einen ersten Anreiz für die weitere thematische Beschäftigung bieten. Mehrheitlich wurde geäußert, dass ein Blick ins Feld dabei hilft, Jugendliche in ihrer Lebenswelt zu erreichen und Themen und Inhalte zu wählen, an denen politische Bildungsarbeit anknüpfen kann.

 

Politische Bildung sollte also auf Veränderungen des Lernens eingehen - durch das Netz kann Lernen kollaborativer und sozialer werden. Digitale Formate bieten die Option, unabhängig von Zeit und Ort zu lernen. Auch Möglichkeiten informellen Lernens wurden als Chance für die politische Bildung hervorgehoben. Die Teilnehmenden problematisierten die Beziehungen zwischen analoger und digitaler „Welt“. Analoge Methoden sollten nicht einfach ins Digitale übertragen werden. Stattdessen sei es wichtig, sich der jeweiligen Logik des Zusammenhangs, ebenso wie an die jeweilige Zielgruppe, deren Wahrnehmung, Vorkenntnissen und Erfahrungen didaktisch und methodisch anzupassen.

 

Herausforderungen für die Praxis

In allen Dialogrunden ging es darum, wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Praxis dafür zu nutzen, Perspektiven für die politische Bildung zu entwickeln. Dabei war der Katalog der Herausforderungen für die politische Bildungsarbeit erwartungsgemäß hoch.        

 

Mehr Angebote zur Medienkompetenz in Aus- und Fortbildung

Besonders im Bereich schulischer politischer Bildung wurden viele Entwicklungsaufgaben gesehen.

 

Als Thema sind digitale Medien im Schulunterricht angekommen. Ihre Nutzung etabliert sich aber in der Praxis mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, so Vertreter_innen aus Praxis und Forschung. Eine Basis können die vielen Studien bieten, die sich mit digitalen Medien in der Schule beschäftigen. Darauf aufbauend wünschten sich die anwesenden Praktiker_innen mehr Aus- und Weiterbildung zur Medienkompetenz von Lehrer_innen, um den alltäglichen Einsatz zu fördern. Hierfür wurde die Kooperation mit außerschulischen Trägern empfohlen, die bereits erfolgreich mit digitalen Medien arbeiten – erste Kontakte wurden geknüpft. Auch der Beschluss staatlicher Regularien, die Lehrkräften Unsicherheiten beim Umgang mit internetbasierten Informations- und Kommunikationsformen nehmen können, wurde diskutiert.

 

Auch bei Vertreter_innen aus dem außerschulischen Bereich war Zurückhaltung zu spüren, die vielfach einem mangelnden Wissen und fehlenden Umgang mit neuen Medien geschuldet war. Hier gibt es „Spezialisten“, vor allem der jüngeren Generation, die eigene Wege gehen, wie die vorgestellten Projekte zeigen. Viele Teilnehmende wünschten sich daher mehr Austausch zwischen den verschiedenen Einrichtungen aus Forschung und Praxis, wie er auf der Jahrestagung zustande kam. Auch im außerschulischen Bereich könnte man von gezielten Kooperationen profitieren, um Know-how und Erfahrungen in die Fläche zu bringen. Dies gilt besonders für die politische Erwachsenenbildung, für die das Thema kaum erschlossen ist.

 

Kontrollverlust der politischen Bildung?

Neben Faktoren wie Interesse, Wissen und Medienkompetenz politischer Bildner_innen, sind es aber auch fachlich und persönlich begründete Vorbehalte, die während der Tagung zur Sprache kamen.

 

Viele politische Bildner_innen und Politiklehrkräfte fühlen sich unsicher, wenn sie damit rechnen müssen, dass vor allem jugendliche Teilnehmer_innen oder Schüler_innen in Sachen internetbasierte Kommunikation mehr wissen und können als sie. Eigene Kompetenzen sind also unabdingbar, um Bildungsangebote gestalten zu können. Ähnlich geht es ihnen in Kooperationen mit versierten Partnern wie Youtubern, die neue Formate, eine eigene Sprache und Ästhetik mitbringen, und mit denen eine Verständigung über die Gestaltung von politischen Bildungsgelegenheiten sowie ein „voneinander-Lernen“ eine Herausforderung darstellt.

 

Neben dieser „Fremdheit“ – die übrigens zwischen anwesenden „alten Hasen“ und Internet-Nerds recht schnell überwunden wurde – ging es immer wieder um die Grenzen zwischen Meinungsbildung und politischem Handeln, zwischen einem theoretischen oder simulierten Umgang mit neuen Medien und dem tatsächlichen Einsatz. Der Übergang vom Einsatz des Internets zu Informationszwecken hin zur Nutzung als Plattform für eigene Aktivitäten und direkte Partizipation auch an politischen Prozessen ist fließend, entgrenzen aber in den Augen vieler Teilnehmender den Seminar- oder Schulraum unkontrollierbar. So wurde über alle Dialogrunden hinweg mit Bezug auf den Beutelsbacher Konsens diskutiert, über dessen Anwendungsgültigkeit und Anpassungsbedarf.

 

Hier besteht noch viel Klärungsbedarf, der aber, auch darüber war man sich einig, möglichst entlang vorliegender Forschungsergebnisse und Praxiserfahrungen geführt werden sollte.

 

Forschung könnte viele Fragen beantworten

An viele dieser Überlegungen schlossen sich Wünsche und Erwartungen an die empirische Forschung an. Gerade im Bereich der nachhaltigen Wirkung der Nutzung und des Einsatzes digitaler Formate auf die Teilnehmenden im schulischen und außerschulischen Bereich reklamierte man Forschungsdesiderate. So wurden umfassende Längsschnittstudien vorgeschlagen, aber auch kleinere Praxisforschungsprojekte, die schnell Auskunft über einzelne Fragestellung liefern können.

 

Neben der Frage, welche Formate bislang eingesetzt werden, interessierte die Teilnehmenden auch die Wahrnehmung der Arbeit mit digitalen Medien durch Erwachsene und Jugendliche. Als besonders vernachlässigtes Forschungsfeld wurde die (politische) Erwachsenenbildung gesehen. Es gibt zwar grundlegende Studien zur Mediennutzung und Rezeption von Erwachsenen, trotzdem ist der Einsatz digitaler Medien in politischen Bildungsprozessen kaum erforscht.

 

Die Teilnehmenden waren sich ebenfalls einig, dass zu der Frage, wie sich Lernen verändert und Politische Bildung auf diese Veränderungen reagieren und sie in Bildungsprozesse einbeziehen kann, Forschungsbedarf besteht.

 

Zuwendungsgeber könnten unterstützen

Forschung im Themenfeld politischer Bildung und digitaler Medien trägt zur Qualitätsentwicklung bei und rechtfertigt den Einsatz gegenüber Zuwendungsgebern. Von Zuwendungsgebern wurde Offenheit gefordert, den Einsatz von digitalen Medien zu erproben, damit politische Bildung neue Formate und Möglichkeiten finden kann, um auf die Veränderungen im Bildungsbereich zu reagieren. Generell wünschten sich die Teilnehmenden eine Verstetigung von Projekten, damit aus Best-Practice regelmäßige Praxis wird.

 

Wie geht es weiter?

Die Tagung zum Jahresthema „Politische Bildung und neue Medien“ hinterließ offene Fragen, vor allem aber viele Anregungen Ideen und Wünsche. Die Transferstelle politische Bildung wird die nächsten Wochen nutzen, um diese weiterzugeben und gemeinsam mit Akteuren der politischen Bildung Strategien zur Umsetzung zu entwickeln. Das Thema „Neue Medien“ wird uns jedenfalls nicht verlassen. Wir werden weiter dranbleiben und über aktuelle Entwicklungen aus Forschung, Aus- und Fortbildung sowie Praxis informieren.